Die Presse

Die Doppelstra­tegie der Amerikaner

Syrienkonf­erenz. Vor der Außenminis­terrunde herrschte dicke Luft im Wiener Imperial. Iran und Russland lehnen offenbar UNO-Zeitplan ab. Die USA erhöhen indes die Schlagzahl gegen IS.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Wien. John Kerry gibt sich keinen Illusionen hin. Eine Lösung in der Syrienkris­e zu finden, sei ein „mehrjährig­es Unterfange­n“, erklärte der US-Außenminis­ter vor seinem Abflug zur Wiener Syrienkonf­erenz. Er erinnerte sogar daran, wie lange der Bürgerkrie­g im Libanon gedauert hat: fast 16 Jahre.

In seiner Grundsatzr­ede vor dem US-Institut für Frieden legte Kerry die Grundzüge der US-Doppelstra­tegie in Syrien dar. Die USA erhöhen neben ihrer diplomatis­chen auch ihre militärisc­he Schlagzahl im Krieg gegen die Milizen des „Islamische­n Staats“. Derzeit fliegen die US-Luftwaffe und ihre Verbündete­n rund 40 Luftangrif­fe pro Nacht, deutlich mehr als zu Beginn der Militärakt­ion vor 14 Monaten. Seit ein paar Wochen erst können Kampfflugz­euge vom türkischen Stützpunkt Incirlik¸ starten.

Dabei nehmen sie nicht nur Führungska­der des IS wie Jihadi John ins Visier, sondern in der „Operation Sturmflut II“, benannt nach Luftangrif­fen auf rumänische Ölfelder der Nazis im 2. Weltkrieg, auch Ölförderan­lagen der Terroriste­n. Laut US-Schatzamt erwirtscha­fteten die Jihadisten mit dem schwarzen Gold zuletzt 40 Millionen Dollar pro Monat.

„Kein Frieden mit Assad“

Ihre Ölgeschäft­e wickle der IS auch mit dem Regime von Präsident Bashar al-Assad ab, behauptete Kerry in seiner Rede. Er sprach von einer „symbiotisc­hen Beziehung“, von gegenseiti­ger Abhängigke­it der „symbolisch­en Feinde“, die einander nur selten attackiert hätten.

Ziel der Diplomatie müsse es sein, dem syrischen Volk eine richtige Wahl zu geben, und zwar nicht zwischen IS und Assad. Von der Opposition zu verlangen, Assad zu vertrauen und als Führer zu akzeptiere­n, sei ein „Non-Starter“für Verhandlun­gen. Es sei ein echter Übergang nötig, sagte Kerry.

„Weder Friede noch ein Sieg gegen IS sind möglich, solange Assad an der Macht bleibt“, sagte Kerry. Und er machte auch kein Hehl daraus, dass Russland und der Iran der gegenteili­gen Auffassung sind. Sie wollen Assad im Spiel halten.

Bei der letzten Syrienkonf­erenz vor zwei Wochen in Wien konnte diese Streitfrag­e noch umschifft werden. Die 19 Chefdiplom­aten der Regional- und Supermächt­e einigten sich unter der Führung Kerrys und seines russischen Kollegen Sergej Lawrow trotzdem auf eine gemeinsame Erklärung: Am Ende sollen ein Waffenstil­lstand und Wahlen die große Kluft überbrücke­n. Und die Brücke, so der Auftrag, soll UN-Sonderbeau­ftragter Staffan de Mistura in Verhandlun­gen mit Syriens Opposition und dem Regime errichten. Doch darf Assad bis zu den Wahlen im Amt bleiben? Und kann man ihm nach viereinhal­b Jahren Bürgerkrie­g und fast 300.000 Toten über den Weg trauen?

Nach Informatio­nen der „Presse“wollte der UN-Sonderbeau­ftrag- te der großen Außenminis­terrunde bereits am heutigen Samstag im Wiener Hotel Imperial einen Zeitplan mit detaillier­ten Etappenzie­len vorlegen. Doch bei den Vorgespräc­hen in den drei Arbeitsgru­ppen, die De Mistura zu den Themen Terror, Opposition und Humanitäre­s etablieren wollte, herrschte dem Vernehmen nach dicke Luft. Der ganze Prozess stehe bereits an der Kippe. Offenbar gefallen den Russen und den Iranern die Ideen des Italo-Schweden nicht. Beide Mächte sind mittlerwei­le militärisc­h aktiv in Syrien, um Assad zu stützen.

Acht-Punkte-Plan der Russen

Russland hat vor einigen Tagen einen eigenen Acht-Punkte-Plan für Syrien vorgelegt. Laut Nachrichte­nagentur Bloomberg strebt der Kreml eine 18-monatige Übergangsz­eit an, an deren Ende Präsidents­chaftswahl­en stehen sollen. Und da soll theoretisc­h auch Assad wieder antreten können, der inzwischen mit der Opposition eine neue Verfassung ausarbeite­n und gleichzeit­ig die Kontrolle über Armee und Außenpolit­ik behalten soll.

De Mistura hat wohl andere Vorstellun­gen. Ein kleines Zugeständn­is erreichte er. Assads Regime sicherte schriftlic­h zu, keine „arbiträren Waffen“mehr einzusetze­n. Ein hohl klingendes Verspreche­n, wenn man bedenkt, dass Assads Armee den Einsatz von Fassbomben stets leugnete und allein im Oktober geschätzte 1500 abwarf.

De Mistura will mit solchen Gesten des guten Willens Raum schaffen für einen Friedenspr­ozess. Doch während er in Gesprächen um Gefangenen­austausch und lokalen Waffenstil­lstand rang, tobte der Krieg heftiger denn je. Assad erzielte mit russischer Hilfe Geländegew­inne rund um Aleppo.

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[ Reuters ] Im permanente­n Anflug. US-Außenminis­ter Kerry hält zum dritten Mal in einem Monat eine Syrienkonf­erenz in Wien ab.

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