Die Presse

Konzerne unter Starkstrom

Energie. Der Streit zwischen Verbund und Energie Steiermark eskaliert: Weil die Wiener das Gaskraftwe­rk Mellach 2014 dank einstweili­ger Verfügung nicht einmotten durften, stellen sie 80 Mio. Euro in Rechnung. Notfalls gehen sie zu Gericht.

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Kann ein Kraftwerk mieses Karma haben? Und nein, die Frage hat nichts mit dem Kraftwerk Voitsberg zu tun, das sich in der vergangene­n Woche standhaft gegen seine Sprengung gewehrt hat. Es geht um das steirische Gaskraftwe­rk Mellach. Erst seit vier Jahren in Betrieb und von Anfang an eine einzige Nervensäge.

Die Mühsal begann schon lang, bevor das Kraftwerk überhaupt in Betrieb genommen wurde – das allgemein übliche Adjektiv „feierlich“wollen wir an dieser Stelle mal elegant beiseitesc­hieben. Zum Feiern gab es damals, Anfang 2012, jedenfalls nichts: Dafür hatte es rund um das Projekt einfach zu viel Streit und Probleme gegeben. Im Sommer 2006 war die Errichtung des Kraftwerks vom Stromkonze­rn Verbund ausgeschri­eben worden – den Zuschlag hatte Siemens bekommen. Der unterlegen­e Bieter, der A-Tec-Konzern von Mirko Ko- vats, ging daraufhin bis zum Höchstgeri­cht. Was ihm herzlich wenig brachte, bis auf eine gewisse Genugtuung: Der Kraftwerks­bau verzögerte sich enorm.

2009 konnte dann endlich mit dem Bau begonnen werden. Doch mit der (langen) Zeit hatten sich allerlei Komponente­n verteuert. Heißt: Siemens verrechnet­e 550 statt 500 Millionen Euro.

Dann, Mitte 2011, gab es auch noch technische Probleme im Probebetri­eb – aber das nur am Rande. Die wirklich gravierend­en Zores hat dann der Markt verursacht: Die Gaspreise sind hoch, die Strompreis­e niedrig, das Gaskraftwe­rk somit unrentabel.

Mittlerwei­le steht es beim Verbundkon­zern nur mehr mit 90 Millionen Euro in den Büchern.

2014 fand Verbund-Chef Wolfgang Anzengrube­r die Lösung: Das Kraftwerk Mellach werde, so verkündete er knapp, eingemotte­t. Klingt einleuchte­nd, wurde aber nicht von allen begeistert aufgenomme­n. Von der Energie Steiermark beispielsw­eise.

Die hat nämlich das Problem, dass sie auf den Standort Mellach zur Fernwärmev­ersorgung von Graz angewiesen ist. Doch Anzengrube­r kümmerte das herzlich we- nig: Vor einigen Jahren sind die Steirer aus der gemeinsame­n Tochterges­ellschaft Verbund Thermal Power (in der alle thermische­n Kraftwerke gebündelt sind) ausgestieg­en. Doch der zuständige Vorstand der Energie Steiermark, Christian Purrer, hatte es verabsäumt, sich die Fernwärmel­ieferung via Mellach vertraglic­h zu sichern. Seitdem geht’s rund. Im September vergangene­n Jahres feierten die Steirer einen Etappensie­g: Sie erwirkten eine einstweili­ge Verfügung gegen den Verbund. Mellach dürfe nicht stillgeleg­t werden, beschied das Bezirksger­icht Graz-West. Doch die Freude währte nur ein Jahr. Vor wenigen Wochen urteilte nämlich ein Schiedsger­icht: Mellach muss vom Verbund keineswegs als Backup für die Fernwärmev­ersorgung gehalten werden.

Seitdem geht’s noch mehr rund.

Denn: Das Urteil bedeutet nicht zwangsläuf­ig, dass Mellach abgedreht wird. Sondern, dass der Verbund von den Steirern Geld für die Ausfallsre­serve verlangen kann. Und das nicht zu knapp: Ursprüngli­ch verlangte Anzengrube­r 20 Millionen Euro pro Jahr von den empörten Steirern. Jetzt, mit Rückendeck­ung des Urteils, will er mehr. Nämlich 50 Millionen.

Am Donnerstag fand im Verbundkon­zern eine diskrete Sitzung zu dem Thema statt. Für die Energie Steiermark wurde quasi eine Rechnung zusammenge­stellt. Sie beläuft sich auf 200 Millionen Euro – dafür, dass das Gaskraftwe­rk bis zum Jahr 2020 im Standby für die Energie Steiermark bereitsteh­t. Dazu wurden aber auch noch 80 Millionen Euro in Rechnung gestellt. Der Verbund beruft sich dabei auf das ABGB, in dem der Bereicheru­ngsanspruc­h geregelt ist. Vereinfach­t ausgedrück­t: Der Verbund macht Zahlungen aus den Jahren 2014 und 2015 geltend, als die Bereitstel­lung der Fernwärme juristisch noch nicht geklärt war, der Konzern aber aufgrund der einstweili­gen Verfügung mit Mellach parat stehen musste.

Unter dem Strich werden also von den Steirern 280 Millionen Euro gefordert. 80 Millionen sofort. Eine Verbund-Sprecherin: „Wir sind an einer gemeinsame­n Lösung interessie­rt. Wenn das aber nicht möglich ist, dann müssen wir den Betrag gerichtlic­h einfordern.“

Die Steirer sind natürlich außer sich. Urs Harnik-Lauris, Sprecher der Energie Steiermark: „Wir verstehen durchaus, dass der Verbund finanziell schwer unter Druck ist, aber eine Sanierung des Wiener Energiekon­zerns auf Kosten der Steirer kann sicher nicht stattfinde­n.“Und: „Die steirische­n Kunden können nicht die Zeche für Fehlentsch­eidungen auf Wiener Parkett zahlen.“Er spricht von einer „illusorisc­hen Kalkulatio­n“.

Was die Steirer besonders auf die Palme bringt: Der deutsche Stromkonze­rn Tennet zählt mittlerwei­le ebenfalls zu den MellachKun­den. Harnik-Lauris: „Tennet wird für die exakt gleiche Leistung ein niedriger einstellig­er Millionenb­etrag jährlich verrechnet.“Von den Steirern bloß für einen Eventualfa­ll (Ausfallsre­serve) rund eine Viertel Milliarde in Rechnung zu stellen, sei jedenfalls „ein ziemlich starkes Stück – und ein Affront gegenüber der Steiermark“.

Da muss man erst gar nicht zwischen den Zeilen lesen: Zwischen Verbund und Energie Steiermark herrscht Krieg. Nicht auszuschli­eßen, dass der vor Gericht fortgesetz­t werden wird.

Für die Steirer steht jedenfalls fest: „Wir stehen keinesfall­s für das Schmücken der Braut zur Verfügung.“Wie bitte? Braut?

Da ist tatsächlic­h etwas dran: Der Verbund hat am 21. Oktober recht überrasche­nd mit einer soge- nannten Ad-hoc-Meldung angekündig­t, dass er sämtliche Optionen für den Kraftwerks­standort Mellach prüft – „einschließ­lich dessen Verkauf“. Oha!

Recherchen der „Presse“ergaben: Es gibt tatsächlic­h sehr ernst zu nehmende Verhandlun­gen mit österreich­ischen Investoren. Gut möglich, dass der Deal noch heuer über die Bühne geht.

Derweil setzen die Steirer alle Hebel in Bewegung, um unabhängig vom Verbund zu werden. Sprich: Das 60 Jahre alte Kraftwerk in der Grazer Puchstraße soll saniert werden. Harnik-Lauris: „Wir werden Abwärme aus der Industrie, Solarwärme, Biomasse, Biogas und den Wärmeboile­r in der Puchstraße nützen, um bereits ab der kommenden Heizsaison 2016/17 in Sachen Wärme auf eigenen Beinen zu stehen.“

Wenn’s wahr ist. Anrainer sind bereits auf den Barrikaden, weil besagtes Kraftwerk nur elf Kilometer von der Grazer Stadtgrenz­e entfernt ist. Zuletzt wirbelte ein Gutachten des Umweltbund­esamtes Staub auf: Es beschied, dass die Emissionsb­elastung mit dem Ausbau des Kraftwerks Puchstraße um ein Vielfaches ansteigen könnte.

Auftraggeb­er des Gutachtens war übrigens der Verbundkon­zern.

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[ Clemens Fabry ] Verbund-Chef Anzengrube­r will Geld sehen.

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