Was ist kurdische Identität?
Kunst. An zwei Schau- und 15 Leseplätzen befragt man im Wiener Fünften, was denn typisch kurdisch sei: Pluderhosen? Bewaffnete Frauen? Die Tradition, eine Minderheit zu sein?
Von der Mode zur Kunst, von der „Tralala-Fraktion“in eines der schwierigsten Krisengebiete der Identität: Kunst aus dem Iran. Gudrun Wallenböck ist da zufällig hineingerutscht, sagt sie. Es begann mit einer Einladung des damaligen österreichischen Botschafters im Iran, Thomas Buchsbaum, ihre bedruckten Wickelröcke in Teheran vorzustellen. Besser gesagt, das Video der animierten Röcke – eine Modenschau, zu der Männer und Frauen zugleich kommen konnten.
Gleich mehrere Wochen ist Wallenböck, Gründerin des Labels Hinterland, damals in Teheran geblieben, die Faszination war sofort da, erzählt sie. 2010 organisierte sie in Teheran eine Ausstellung über „Tragbare Kunst“mit 20 iranischen Künstlern, die sie auch in ihrem Geschäft im Wiener fünften Bezirk zeigte. Es war ihre erste Iran-Ausstellung, langsam wandelte sich das Mode-Label zum Galerie-Namen, in einen Verein um. Und nachdem der Kontakt mit iranischen Künstlern nie abgebrochen ist, blieb Wallenböck vorwiegend bei Kunst aus dem Iran.
Zensur ist lockerer geworden
„Es gibt dort eine sagenhaft rege Kunstszene“, schwärmt sie. Das Spannende sei, dass die Künstler sich mit Problemen auseinandersetzten, die sie nicht offen behandeln könnten, sondern subtil, so Wallenböck. Wobei die Zensur vor sechs Jahren viel schlimmer gewesen sei. Trotzdem stehe auch ihre Arbeit unter Beobachtung, merkt sie. Sie passe auf, was sie zeige, vor allem wegen der Künstler, die meist im Iran leben. Anders als die Aushängeschilder iranischer Kunst, Shirin Neshat oder Parastou Forouhar.
Ein bis dreimal pro Jahr fliegt sie deshalb in den Iran. Immer wieder stößt sie dabei auf Künstler, die betonen, sie seien kurdisch. Aber was heißt das eigentlich? Rund um diese Identitätsfrage kreist das neueste Projekt Wallenböcks, „Being Kurdish“, das sich weder auf den Iran, noch ihre Galerie beschränkt. Noch direkt auf Kurden. So nimmt etwa die deutsche Künstlerin Hito Steyrl teil, mit einem Video über RAF-Mitglied Andrea Wolf, die sich der kurdischen Volksbefreiungsarmee anschloss und 1998 von der türkischen Armee getötet wurde. Seither wird sie von der PKK als Märtyrerin verehrt.
Das Ganze ist also kompliziert. Dafür ging Wallenböck auch noch Kooperationen ein, mit 15 Geschäften im Grätzel, in deren Schaufenstern man Gedichte kurdischer Autoren liest, sowie mit dem nahen „Spektakel“, in dessen Foyer der zweite Teil der Aus- stellung stattfindet. Darunter auch ein Anknüpfungspunkt zu Steyrls Film: Maryam Ashrafi zeigt Fotos, die sie bei einem Aufenthalt mit den Peschmerga-Frauen aufgenommen hat, den seit 1996 zugelassenen Kämpferinnen der nationalen militärischen Einheiten in den kurdischen Gebieten, die jetzt auch gegen den IS kämpfen.
Es sind tolle Fotos starker, schöner Frauen, die auch ihre verletzlichen Seiten zeigen, Bilder ihrer Kinder, Besuche bei den eigenen Müttern etc. Doch es sind fast ausschließlich positive Bilder, die letztendlich an einem ähnlichen Heldinnen-Mythos arbeiten wie er um Wolf aufgebaut wurde. Distanz zur eigenen Identität scheint hier schwierig. Bei den Kurden sei Identität sowieso schwer zu definieren, hat Wallenböck gelernt. Es gebe keine gemeinsame Religion, kein gemeinsames Land. „Es ist die Zugehörigkeit“, höre sie immer wieder, die Tradition, die Musik, die Kleidung, eine Art der Sprache. Das Gefühl, zu einer Minderheit zu gehören. Hawar Amini gibt dem einen Ausdruck – er malt Passfotos auf Leinwand, aber von hinten aufge- nommen. Der im Iran geborene Vooria Aria, der in Wien Kunst studierte, legte eine der typisch bauschigen kurdischen Hosen auf den Boden und überklebte sie mit weißem Papier – verbergen, um hervorzuheben. Für die allerdings nur, die den Blick senken, die anderen steigen unachtsam drauf, wie auf die Fußmatte mit seinem Gesicht.
Das Gefühl der Flucht, des Gehetztseins, fängt der 1980 geborene Adel Dauood in großen Kohlezeichnungen ein, ein schattenhaftes Wesen halb Mensch, halb Tier bzw. Trophäe. Dauood ist in Österreich anerkannter Flüchtling aus Syrien, so Wallenböck. In Wien leben zwischen 15.000 bis 17.000 Kurden, auch einige ihrer Geschichten sind hier nachzulesen, sie hängen als Büchlein von der Wand, eine Arbeit der amerikanischen Magnum-Fotografin Susan Meiselas, die während des Irak-Kriegs angefangen hat, kurdische Geschichten zu archivieren. Jetzt gibt es dazu auch eine Wiener Erweiterung.
„Hinterland“,