Die Presse

Wen suchst du? Die Frage am Gartentor

Menschen, die in meinen Blick geraten, bringen mich dazu, mich selbst zu entdecken.

- VON GEORG SPORSCHILL SJ

Die Schüler von Jesus sahen in ihm einen Lehrer und Wundertäte­r, aber nicht mehr. Petrus verleugnet­e ihn, als sich das Netz um ihn zusammenzo­g und es neben ihm gefährlich wurde.

Als Einziger war Judas überzeugt, dass Jesus der Messias war und seine göttliche Macht zeigen würde – wenn man ihm dazu die weltlichen Wege öffnete. Er musste also erreichen, dass Jesus der politische­n Macht – dem römischen Statthalte­r Pilatus – gegenübers­tand. Dann würde er das Volk aus der Unterdrück­ung befreien und die Mächtigen vom Thron stürzen.

Judas verhandelt­e mit den römischen Soldaten und erreichte, dass der Messias, an den er glaubte, in die Hände der Besatzer fiel. Aber dann lief alles anders als geplant. Es nahm ein schrecklic­hes Ende.

So beschreibt Amos Oz in seinem Roman „Judas“die Gestalt des Jesus-Anhängers, eingepackt in die Liebesgesc­hichte des Schmuel Asch im heutigen Jerusalem, begleitet von der Geschichte einer modernen Judas-Gestalt in der Auseinande­rsetzung zwischen Zionismus und einem Israel, in dem zwei Völker leben.

Judas sucht in Jesus den Messias. Die Tempelelit­e in Jerusalem wiederum sieht in Jesus den Freigeist, der ihre Tradition in Frage stellt, und will seine Stimme ersticken. Die Römer sehen in ihm den Unruhestif­ter, sie wollen den Aufrührer aus dem Weg schaffen, um keinen Aufstand zu riskieren.

„Wen sucht ihr?“, fragt Jesus, als er aus dem Garten hinausgeht. Damit stellt er den römischen Soldaten, den Gerichtsdi­enern der Hohepriest­er und der Pharisäer die Frage, was sie von ihm erwarten. Su- chen sie ihn als Gesprächsp­artner oder Gegner? Wofür setzen sie sich ein? Oft wurde Jesus aufgesucht: vom Pharisäer Nikodemus, der mit ihm eine Nacht lang Glaubensfr­agen diskutiert­e. Nach der Brotvermeh­rung suchten ihn die Leute in Kafarnaum, weil sie mehr von dem Brot haben wollten. Die einen sagten: Er ist ein guter Mensch. Andere meinten: Nein, er führt das Volk in die Irre. Wen suchst du, fragt der Auferstand­ene Maria, die am leeren Grab steht. Weil sie den Geliebten sucht, erkennt sie Jesus.

„Des Nachts auf meinem Lager suchte ich ihn, den meine Seele liebt“, singt das schöne Mädchen im Hohelied der Liebe – und findet seinen Freund. Er wiederum deckt in ihr die Schönheit auf: „Dem Riss des Granatapfe­ls gleicht deine Schläfe.“Wen sucht ihr? Diese Frage provoziert die Schergen am Gartentor in Gethsemane.

Wen suchst du? Die Frage geht an Judas, der Jesus der Welt übergibt. Sie richtet sich auch an mich. Angesichts der Flüchtling­e, die aus Krieg und Terror zu uns drängen, in eine Gesellscha­ft von Reichtum und Übersättig­ung. Angesichts der Roma, die bei uns keine Heimat finden.

Wen suche ich? Was will ich? Menschen, die in meinen Blick kommen, bringen mich dazu, mich selbst zu entdecken. In der Vielfalt der Interessen und Wünsche finde ich, was mein tiefstes Anliegen ist.

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