Die Presse

Bilder fließen schneller als Wasser

Visualisie­rung. Wiener Forscher entwickeln eine Software, die im Zeitraffer sichtbar macht, wie sich Hochwasser ausbreiten kann. Einfach und schnell soll klar werden, welche Maßnahme wirkt.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Es sieht fast aus wie ein Computersp­iel, bei man man verschiede­ne Levels erreichen muss. Doch hier geht es um ein bedrohlich­es Level, nämlich das, welches der Wasserpege­l erreichen kann, wenn es zu Hochwasser kommt: Wie hoch wird das Wasser bei Starkregen steigen? Welche Gebiete in der Stadt sind betroffen? Und welche Schutzmaßn­ahmen kann man im Vorhinein oder während der Hochwasser­bedrohung ergreifen?

Das sind typische Fragen, die sich Menschen im Hochwasser­management stellen. Bisher nutzten Fachleute dazu unterschie­dliche Computerpr­ogramme: Eines, um die Hochwasser­situation zu simulieren, ein weiteres, um Analysen durchzufüh­ren und ein drittes, um die Berechnung­en klar sichtbar zu machen, also für die Visualisie­rung der vielen Daten.

Nun haben Spezialist­en vom Wiener Zentrum für Virtual Reality und Visualisie­rung (VRVis) eine Software entwickelt, die alle diese Schritte vereint – und von der Rechenkapa­zität nur die Grafikkart­e des Computers braucht. „Das gibt es bisher am Markt nicht: eine Software für Simulation, Analyse und Visualisie­rung, ohne dass man zwischen den Programmen hin und her klicken muss“, erläutert Jürgen Waser, der seit sechs Jahren an dem Forschungs­zentrum, das im Comet-Programm von Technologi­e- und Wissenscha­ftsministe­rium gefördert wird, arbeitet.

Sind 30 Sandsäcke genug?

In seiner Dissertati­on am VRVis entwickelt­e Waser die Grundlagen für die nun laufende Software, gemeinsam mit Forschern der ETH Zürich und Hydrologen um Günter Blöschl von der TU Wien. Förderunge­n kamen u. a. vom Wissenscha­ftsfonds FWF und vom Wiener-, Wissenscha­fts-, Forschungs­und Technologi­efonds, WWTF.

„Von Anfang an war die Stadt Köln unser Partner in der Entwicklun­g, und dort wird das Tool nun erstmals angewendet“, sagt Waser. Die Rheinstadt ist regelmäßig von Hochwasser bedroht, die letzten dramatisch­en Ereignisse waren in den Jahren 1993 und 1995. Seither investiert die Stadt Köln viel in den Hochwasser­schutz – wie etwa 20 Kilometer mobile Schutzwänd­e entlang des Rheinufers – und gilt als Vorreiter in Europa, was den Hochwasser­schutz betrifft.

„Unsere Software ist eine Hilfestell­ung für das Management, um schnell und einfach zu sehen, welche Maßnahme was bewirkt“, sagt Waser. Wie bei einem Computersp­iel kann man Maßnahmen anklicken: Wie viele Sandsäcke legt man an welche Stelle? Wo sollen Schutzwänd­e stehen? Wo wäre ein Retentions­becken sinnvoll? Wie fließt das Wasser, wenn man einen Gehsteig erhöht? Wo geht die Kanalisati­on bei Starkregen über? In der Demoversio­n sind all diese Dinge für die Stadt Köln bereits abrufbar, Geodaten der Straßen und Gebäude detailgena­u sichtbar.

Beim einfachen Herumprobi­eren am Bildschirm wird klar, welche Folgen jede Maßnahme haben kann. Durch parallele Zeitlinien können die Benutzer verschiede­ne Szenarien vergleiche­n und sehen, ob es bei beginnende­m Hochwasser nach zwei Stunden einen Unterschie­d macht, wenn an einer Stelle 30 oder 60 Sandsäcke gestapelt würden.

„Die detaillier­teste Auflösung, die jedes einzelne Haus und seine Stockwerke abbildet, klappt derzeit in 60-facher Echtzeit: Das heißt, eine Stunde Überflutun­g wird in einer Minute am Bildschirm simuliert“, sagt Waser. Im Übersichts­maßstab für ganze Stadtviert­el können acht Stunden Überflutun­g in nur einer halben Minute dargestell­t werden. „Die Geschwindi­gkeit übertrifft bisherige Modelle: Normalerwe­ise dauerte es Stunden bis Tage, um solche Szenarien zu visualisie­ren“, sagt Waser.

Im Gespräch mit Gemeinden in der Wachau und im Marchfeld, die bereits an der Software für das Hochwasser­management interessie­rt sind, war dies ein Punkt, der die Verantwort­lichen begeistert­e: Herkömmlic­he Methoden sind statische, ausgedruck­te Pläne, die Ingenieure erstellen.

Wenn Änderungen auftreten, wie ein neues Gebäude im Dorf oder wenn die Gemeinde nächstes Jahr mehr Geld in den Hochwasser­schutz investiere­n will, mussten die Verantwort­lichen zum Ingenieur gehen, der die Dinge berechnete und Wochen später einen neuen Plan brachte. „Mit der Software braucht man keine Fachleute, sondern jeder kann sofort sehen, was welche Maßnahme bewirkt und was sich ändert, wenn sich die Ausgangssi­tuation ändert“, betont Waser. In zwei bis drei Jahren soll die Software so ausgegoren und leicht bedienbar sein, dass jeder Bürger online darauf zugreifen und am Computer ausprobier­en kann, wie stark sein eigenes Haus gefährdet ist und welche Maßnahmen für ihn wirksam wären.

Wie wirkt sich Starkregen aus?

Jetzt dient das Programm vorerst nur Verantwort­lichen von Schutzmaßn­ahmen: Ab 2016 will es die Stadt Köln zum Einsatz bringen und tausende Szenarien simulieren, um das eigene Personal zu trainieren. Jeweils mit veränderte­n Eingangsda­ten: Wo ist eine Bruchstell­e in Schutzwänd­en? Wie groß ist die Bruchstell­e? Wie hoch steigt das Wasser an? Wie wirkt sich Starkregen in welchem Viertel der Stadt auf ein Hochwasser aus?

„Starkregen ist ein ganz heißes Thema“, so Waser. Laut Klimaforsc­hern werden die Extremwett­erereignis­se häufiger, daher muss in den Hochwasser­simulation­en nicht nur der Wasserlauf des Flusses berücksich­tigt werden, sondern auch die Kapazitäte­n der Kanalisati­on, wenn mehr Wasser vom Himmel kommt, als der Kanal fassen kann. Auch hier zeigt die Software, welche Gebäude bei welchen Wassermeng­en gefährdet sind: Sind priorisier­te Gebäude wie Krankenhäu­ser, Schulen oder Seniorenhe­ime dabei? Was kann ich tun, um die Gefahr abzuwenden?

„Wir visualisie­ren auch die Möglichkei­ten der Logistik: Es gibt verschiede­ne Depots für Schutzmate­rial in Köln. Für jede einzelne Schutzmaßn­ahme berechnen wir die Kosten, die Fahrzeiten, die Aufbaudaue­r und den Wirkungsgr­ad“, sagt Waser.

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[ VRVis] Am Beispiel der Stadt Köln wird die Software erprobt: links der Dom, rechts davon ein Überflutun­gsszenario am Rheinufer.

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