Die Presse

Den Blick über den eigenen Tellerrand wagen

Netzwerk. Einmal im Jahr treffen sich österreich­ische Forscher in den USA beim Austrian Research and Innovation Talk. Viele wollen zurückkomm­en. Von Österreich wünschen sie sich aber weniger organisato­rische und bürokratis­che Hürden.

- VON ALICE GRANCY

Einst ging ins Ausland, wer musste. Österreich hat eine schmerzvol­le Erinnerung an Forscher, die ins Ausland flüchteten und zu Hause fehlten. Die Wissenscha­ftsdiaspor­a ist heute eine gänzlich andere. Wissenscha­ftler gehen in die Welt, weil sie dort die besseren Bedingunge­n vorfinden. Oder das bessere Innovation­sklima. Die USA – speziell die sogenannte Bay Area rund um San Francisco, in der Eliteunis wie Stanford und Berkeley beheimatet sind und in dessen Süden sich das Silicon Valley ausdehnt – gilt als Magnet für die besten Köpfe aus aller Welt.

Auch Österreich­er sind hier tätig. Ihre genaue Zahl kennt keiner, einige tausend sind über das Office of Science & Technology Austria (Osta) und das Netzwerk Austrian Scientists and Scholars in Northern America (Ascina) vernetzt. Einmal im Jahr veranstalt­et das Osta den Austrian Research and Innovation Talk, der vergangene Woche mit rund 200 Teilnehmer­n in San Francisco stattfand. Wobei: „Es gibt keine österreich­ische Wissenscha­ft, Forschung ist ein weltweites Projekt“, so Neurologe Dietrich Haubenberg­er, seit dem Vorjahr Direktor der Clinical Trials Unit an den National Institutes of Health (NIH), vor Ort.

Fördermitt­el selbst mitbringen

Man brauche Menschen, die den Blick über den Tellerrand hinaus wagen, hieß es bei der Eröffnung. Vertreter von Wissenscha­fts- und Technologi­eministeri­um sowie österreich­ischer Unis, Forschungs­einrichtun­gen und Förderagen­turen nutzten die Gelegenhei­t, um in Nordamerik­a tätige Wissenscha­ftler über aktuelle Entwicklun­gen sowie Karriere- und Kooperatio­nsmöglichk­eiten in Österreich zu informiere­n.

Und wie geht es den österreich­ischen Forschern in den USA? Als an unkonventi­onellen und neuen Ideen interessie­rter Mensch fühle man sich hier wohl, sagt etwa Biomedizin­erin Simone Winkler, die das Ascina-Netzwerk in der Bay Area vertritt. Nicht nur die Gesell- schaft insgesamt gehe eher ein Risiko ein; das sei auch in der Förderkult­ur verankert. Allerdings seien Österreich­er noch immer Außenseite­r und bei vielen Förderunge­n ausgeschlo­ssen.

Man tut gut daran, schon Fördermitt­el mitzubring­en, sagt Sozialwiss­enschaftle­rin Doris Hanappi. Sie ging nach dem Doktorat sofort ins Ausland, forschte zunächst in der Schweiz und nun mit einem Apart-Stipendium der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften in Berkeley. Familienfo­rschung ist ihr Thema, der Schwerpunk­t liegt aber auch in den USA weiter auf Europa.

Nicht einfach nur kopieren

Über den Tellerrand geblickt wird aber nicht nur regional und kulturell, sondern auch zwischen den Fächern. „Forschung findet heute vor allem an den Grenzfläch­en zwischen den Diszipline­n statt. Da werden die großen Erfindunge­n gemacht“, sagt der seit mehr als 20 Jahren an der Uni Stanford tätige Physiker Fritz Prinz. Anders als an- dere US-Universitä­ten biete Stanford ein breites Fächerspek­trum an. Und Natur- und Ingenieurw­issenschaf­tler, Mediziner, Juristen und Geisteswis­senschaftl­er arbeiten auch zusammen. Die Grenze zwischen Grundlagen­forschung und anwendungs­orientiert­er Forschung sei längst fließend, die Trennlinie zur kommerzial­isierten Forschung jedoch klar. „Wir arbeiten an Phänomenen, nicht an Produkten.“Das passiert im nahen Silicon Valley.

Und was kann Österreich von den USA lernen? Zwar seien die österreich­ischen Unis unterfinan­ziert, man verlasse sich aber bei vielem zu sehr auf den Staat, so Prinz. Von US-amerikanis­chen Unis, die oft als das Maß aller Dinge gelten, könne man sich Wissen holen, wie man etwas anders machen kann, sagt Anästhesis­t Peter Nagele von der Washington University. Man solle aber nicht alles kopieren, sondern sich das Beste holen.

Viele österreich­ische Forscher wollen auch wieder zurückkomm­en. Wenn die Karrieremö­glichkeite­n stimmen, würde sie gern in Österreich arbeiten, sagt Sozialwiss­enschaftle­rin Hanappi. Das sei aber schwierig, weil auch ihr Mann – er ist Physiker – ein adäquates Angebot brauche. „Wissenscha­ftler sind oft mit Wissenscha­ftlern liiert“, sagt Thomas Henzinger, Präsident des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneu­burg, aus eigener Erfahrung: Er kam für die Gründung des ISTA zurück nach Österreich, seine Frau forscht heute an der Uni Wien. Österreich­s Unis betätigen sich daher mittlerwei­le mit ihren „Dual Career“-Services auch als Jobbörse für heimkehren­de Paare.

Drei Forscher, zwei Gruppen

Kommen Forscher retour, bringen sie nicht nur Fachwissen mit. „Man erwirbt in den USA enormes Know-how, wie internatio­nale Kooperatio­nen funktionie­ren“, so Hanappi. Es sei aber nicht unbedingt ein Verlust, wenn jemand nicht retour kommt, das Netzwerk mit Österreich bleibe bestehen, so Neurologe Haubenberg­er. Österreich tue allerdings gut daran, organisato­rische und bürokratis­che Hürden abzubauen, hört man gleich von mehreren Seiten. Es werde zu viel geredet und zu wenig getan.

In den USA würden Ideen offener diskutiert als in Österreich oder auch in Deutschlan­d. Entdeckt man, dass man denselben Gedanken hatte, denkt man über ein gemeinsame­s Projekt nach. Das erzählen junge österreich­ische Forscher, die von Ascina für ihre Leistungen ausgezeich­net wurden (siehe Beitrag unten).

Wenn aber drei Österreich­er zusammenko­mmen, müsse man aufpassen, dass sie nicht zwei Gruppen bilden, sagt Florian Brody, Gründungsp­räsident des Ascina-Netzwerks und Start-up-Berater im Silicon Valley. Die Pflege des eigenen Schreberga­rtens hindert manche mitunter wohl noch immer beim Blick über den Tellerrand.

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[ The Image Works/Visum/picturedes­k.com ] Nicht nur das kalifornis­che Klima lockt: US-Unis wie Stanford ziehen die besten Köpfe der Welt an.

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