Erweckungserlebnis
Auch Emanuel versucht, sie „zum Weiterleben zu verführen“. Er meint, man müsse im Leben Spuren hinterlassen, bevor man sterbe, worauf sie zusammen ein Graffito sprühen. Nach vier Stunden wie in Trance – bar jeglichen selbstzerfleischenden Denkens – hat Marie an einem Bild gearbeitet, das einen („guten“) Vater zeigt, der mit seinem kleinen Sohn von einer Brücke Papierflieger hinuntersegeln lässt. Da hat sie ein Erweckungserlebnis. Sie erkennt, dass sie etwas wert und auch imstande ist, etwas Bleibendes zu schaffen, denn das Graffito wird von den Passanten bewundert wie ein Kunstwerk.
Sandra Weihs ist mit ihrem Debütroman ein starker Text gelungen, auch wenn die Charaktere bisweilen tragisch überfrachtet und die dramaturgischen Wendepunkte etwas zu explizit daherkommen: „Plötzlich kommt es mir falsch vor, mein Leben zu beenden – als ob ich eine andere geworden wäre.“
Abgesehen von manch überstrapazierten Metaphern („Das Gespräch zwischen uns fließt, als ob Dämme gebrochen wären und das Wasser sich nun neue Landschaften erobern würde“), lebt das Buch vom frechen, direkten, unverstellten Ton der Ich-Erzählerin, der der Schwere des Themas und der Charaktere eine erfrischende Leichtigkeit verleiht.
Für die Authentizität des Erzählten garantiert der biografische Hintergrund der Autorin: Als studierte Sozialarbeiterin (Jahrgang 1983) hat sie viel mit benachteiligten Kindern zu tun. Und so betrifft dieser Roman uns alle, geht es hier doch um die Gesellschaft von morgen.
QSandra Weihs Das grenzenlose Und Roman. 240 S., geb., € 20,50 (Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/Main)