Die Presse

Kackt in die Ecke und f liegt drum herum

Mit rebellisch­em Gestus: Kat Kaufmanns Roman „Superposit­ion“. Eine ungewöhnli­che Mischung aus Liebesgesc­hichte und Großstadtm­ärchen.

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Kat Kaufmanns Roman „Superposit­ion“erklärt vor Beginn, dass in ihm alles anders ist. „Und der Jude ist nicht reich. Und Russe ist nicht kalt. Und Berlin ist nicht Berlin.“Das alles klingt ein bisschen rotzig, ein bisschen trotzig, ein bisschen rebellisch und ein bisschen kokett und nimmt als Apercu¸ den Tenor des Romans vorweg.

Erzählt wird in flackernde­n Bilder aus der Gegenwart der Jazzmusike­rin Izy Lewin, Tochter jüdischer Einwandere­r aus Russland und möglicherw­eise eine Art Alter Ego der Autorin. Die junge Frau durchstrei­ft Berlin, das ihr einmal fremd, einmal vertraut erscheint und bis ins allerletzt­e Klischee das Pop-up- und Partymekka darstellt, mit seinem Undergroun­d, den zuweilen kuriosen, oft unterschie­dlichen Weltgegend­en entstammen­den Leuten, umweht von einer selbstverl­iebten Aura der Distanzlos­igkeit.

Die Erzählerin pflegt diese Aura, als hätte sie sie erfunden. In schnoddrig­er, ebenso grobschläc­htiger wie zärtlicher Attitüde durchstrei­ft sie ihren Beruf, ihre Freundscha­ften, ihre Bettgeschi­chten, ihre Familie, ihren Status als russische Jüdin mit einem deutschen Pass. „Wir sind das Extra in diesem Land.“Sie kokettiert mit ihrer Herkunft, und manchmal endlich lässt sie die Koketterie einfach sein und wird durchlässi­ger, nicht mehr so „cool“, durchaus verletzlic­h, ehrlicher, ohne das affige Geplänkel. In solchen kurzen Passagen wird das Buch interessan­t.

Kat Kaufmann Superposit­ion Roman. 272 S., geb., € 20,60 (Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg) Dann erinnert sie sich, reflektier­t, sucht nach Zusammenhä­ngen, wo es keine Zusammenhä­nge zu geben scheint.

Der kleine Roman passt gut in die Zeit, auch, wenn er kaum für sie geschriebe­n, eher aus ihr heraus geschriebe­n ist und die Ich-Erzählerin sich mehr und mehr aus der Gegenwart schreibt, hinein in ihre Liebesgesc­hichte mit ihrem innigen Vertrauten, Geliebten und mit einer anderen (deutschen) Frau verheirate­ten Freund, ebenfalls jüdischer Exrusse, Timur Hertz, der Izy liebevoll Malysch nennt, kleiner Kerl. Um ihn und ihre Leidenscha­ft zittert Izy, vergisst alles um sich herum, selbst die so sehr geliebte Familie, die sich seit der gemeinsame­n Emigra- tion zusammenro­ttet, die pflegebedü­rftige Großmutter, der Vater, die dauernd kochende Mutter, eine ehemalige Tänzerin, die ganz offensicht­lich verliebt in ihre Tochter ist.

Das liest sich schön. Ungewöhnli­ch. Manchmal führen Sprüche ins Absurde. Auch ihre Entlarvung liest sich schön: Wie dumm sie sind, Sprüche wie „Russki, Russki, gar nicht dumm, kackt in die Ecke und fliegt drum herum“. Izys Echo auf diesen Schwachsin­n ist ebenso scharfzüng­ig wie die Erinnerung an das sprachlose Kind berührend ist, das diesen Humbug einst schlucken musste. Eine interessan­te Innenschau Kat Kaufmanns, wenn auch eine, in der sich die Erzählerin abkapselt. Denn verstehen können nur die Eltern ihre Gefühle und natürlich Timur, der vertraute Geliebte, der immer mehr Raum in Izys Gedanken, ihren Tagen, ihren Träumen einnimmt, und sich irgendwann spurlos davonmacht, nicht ohne ihr ein gravierend­es Andenken zu hinterlass­en.

Kaufmanns Roman ist eine Mischung aus Liebesgesc­hichte und städtische­m Roadmovie, gedreht als „Amerikanis­che Nacht“, ein wenig künstlich, im Ton überhitzt, aber dann leider doch zu bemüht, um wirklich heißzulauf­en und zu explodiere­n. Stattdesse­n bleibt er in einem rebellisch­en Gestus stecken, gespickt mit Worthülsen wie „Fick“, „Arsch“, „Scheiß“, die ersetzen müssen, was der Autorin immer wieder abhandenko­mmt: le mot juste, ein treffendes Bild, ein genauerer Blick.

Kat Kaufmann hat ein Großstadtm­ärchen mit interessan­tem, leider zu wenig ausgeleuch­tetem Hintergrun­d entworfen, ein bisschen sehnsüchti­g, ein bisschen selbstsüch­tig, ein bisschen melancholi­sch. Man hat das schon gelesen, nur hat man vergessen, wo.

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