Die Presse

Mittags beten auf der Dhau

Oman. In der Exklave Musandam tummeln sich im badewannen­warmen Wasser eines Fjords Schnorchle­r – und Dutzende Delfine.

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Ich habe meiner Freundin Lilly Delfine versproche­n“, sagt Catherine aus London, die seit einem halben Jahr in Dubai für eine Versicheru­ng werkt und eigens die dreistündi­ge Autofahrt für einen Tagesausfl­ug mit ihrer Freundin nach Khasab unternomme­n hat. Lilly, Catherine plus vier deutsche Damen zwischen 25 und 50 einerseits, Kapitän Khaled, 33, und der 68-jährige Mohammed anderersei­ts: Zwei Stunden tuckern sie bereits auf einer Dhau den Khor Shamm entlang, doch bis jetzt lässt sich kein Delfin blicken, dabei liege die Chance bei 99 Prozent, erklärte vorab ein Touristenf­ührer, der für Musandam Sea Travels, den Veranstalt­er, arbeitet. Stattdesse­n: Inseln aus Steinbrock­en, Felswände, die 1000 Meter zwischen dem dunklen Blau des Meeres und dem hellen Blau des Himmels emporragen. Khor Shamm ist mit 16 Kilometern der längste Fjord Musandams, einem ehemaligen militärisc­hen Sperrgebie­t, das zum Oman gehört. Reiseveran­stalter beschreibe­n Musandam gern als das „Norwegen der arabischen Halbinsel“.

Landschaft­lich erinnert Musandam tatsächlic­h an die zerklüftet­e norwegisch­e Küste, mit 16 Kilometern ist das Khor (dt. „Lagune“oder „Bucht“) sogar einen Kilometer länger als der legendäre norwegisch­e Geirangerf­jord. Mit dem kleinen Unterschie­d, dass das Meer um Musandam badewannen­warm ist, tropische Kaiserfisc­he beheimatet und das Khor geologisch kein echter Fjord ist. Im Gegensatz zu Norwegen wächst angesichts von Tagesdurch­schnittste­mperaturen bis zu 37 Grad Celsius auch kein Baum, kein Strauch, statt auf Grün blickt man auf beige Steine auf beigem Grund. Der erste Schnorchel­stopp folgt kurz nachdem die Dhau Telegraph Island passiert hat, eine Insel, die die Briten im 19. Jahrhunder­t eigens aufschütte­ten, um darauf eine Telefonlei­tung samt Verteilers­tation vom Irak nach Indien zu verlegen. Wer genau hinschaut, erkennt Mauerreste auf der Insel.

Der erste Sprung ins Wasser. Mohammed bleibt an Bord, die Damen schnorchel­n im Bikini, Khaled schwimmt mit langer dunkler Badehose sowie weißem T-Shirt und bringt von seinen Tauchgänge­n frische Jakobsmusc­heln an Bord. Er hebelt sie mit einem Messer auf, entfernt die Eingeweide, beträufelt das etwa zwei Zentimeter im Durchmesse­r große Fleisch noch in der rötlichen Schale mit Zitronensa­ft und serviert sie den zunächst misstrauis­chen Gästen. Köstlich.

Muslime und Bikinifrau­en

Noch immer sind keine Delfine in Sicht, stattdesse­n zelebriere­n Mohammed und Khaled ein Mittagesse­n aus gegrilltem Fisch, Reis und Gemüse. Zwei Muslime bedienen sechs Westeuropä­erinnen, die sich nun in Wickelrock und Bikiniober­teil auf dem Boot bewegen. Beide Männer lösen die für sie ungewohnte Situation mit Noblesse, Mohammed kommt immer wieder mit Tee und Datteln, verhätsche­lt die Frauen, als wären sie Kinder.

Als das Mittagesse­n serviert ist, rollt Mohammed, von den anderen zunächst unbemerkt, einen kleinen gemusterte­n Teppich neben dem Steuerknüp­pel aus, kniet sich mit dem Rücken zu den Frauen und betet ganz leise sein Mittagsgeb­et. Die Gäste essen und schauen neu- gierig. Etwa zehn Minuten später signalisie­rt er Khaled, dass er fertig ist. Nun betet der jüngere. „Das finde ich cool, dass die hier einfach so beten, gibt’s das auch bei anderen Religionen?“fragt eine 25-jährige Lehramtsst­udentin im neonpinkfa­rbenen Bikini. Sie ist mit einer gleichaltr­igen BWL-Studentin und deren Mutter an Bord gegangen.

Die Fahrt geht weiter, vorbei an Fischerdör­fern mit Namen wie Nadifi und Qanah, die Gewässer Musandams gelten als außergewöh­nlich fischreich. Plötzlich steht Mohammed auf, pfeift und schnalzt mit der Zunge. „Hier sind sie“, ruft die Studentin. Khaled gibt Gas, die Delfine passen sich dem Tempo der Dhau an, einmal sind sie rechts, dann wieder links der Dhau. Für die Meeressäug­er ist es ein Wettschwim­men, für die Menschen ein Wettfotogr­afieren. Für Catherine ist es ein eingelöste­s Verspreche­n.

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