Die Presse

„Politisch jungfräuli­ch“: Hitlers Monstrum am Meer

Ferienimmo­bilien. Aus dem Nazi-Urlaubsres­ort Prora wird eine Ferienanla­ge. Die Entwickler sagen, die Vergangenh­eit sei kein Thema.

- AUS PRORA VON ELISABETH POSTL

Noch wohnen Frösche im Keller von Block 3. Öffnet man die Tür zu den Stufen, die hinabführe­n in die düsteren Katakomben, hüpfen die Tiere vor einem davon. Da unten ist es schön feucht. Und – für Menschen zumindest – ziemlich gefährlich. Der Zustand der Keller ist nicht mehr der beste; statt Keller könnte man sie auch unterirdis­che Geröllhald­e nennen.

Aber, wie gesagt: Noch ist das so. Block 3 ist eine der letzten Abteilunge­n der zweieinhal­b Kilometer langen Nazi-Immobilie Prora, die nach wie vor im Quasi-Originalzu­stand sind. Jahrelang witterte der denkmalges­chützte Komplex auf der Ostseeinse­l Rügen vor sich hin; die Bundesrepu­blik wusste nichts so recht anzufangen mit der Immobilie: geplant und gebaut von den Nazis, genutzt von der Nationalen Verteidigu­ngsarmee (NVA) der DDR. In Wahrheit ein Mahnmal gleich zweier Diktaturen.

„Kraft durch Freude“-Anlage

Prora, das war vor allem der nazideutsc­he Ostseeurla­ubstraum. „Das Strandbad der 20.000“: Es hätte das größte Seebad der Welt werden sollen. 10.000 Zimmer für je zwei Urlauber, 2,5 mal fünf Meter groß. Prora war ein Projekt des Nazi-Volksunter­halters „Kraft durch Freude“(KdF), jener Organisati­on, die das nazideutsc­he Volk fit machen sollte für den Krieg. Mit Ferienlage­rn, Kreuzschif­ffahrten, Urlaubsrei­sen – und einem Auto, dem KdF-Wagen, das wie der Koloss von Prora der Nachwelt erhalten blieb: als VW Käfer.

„Die Idee dieses Seebades stammt vom Führer selbst“, verkündete KdF-Leiter Robert Ley, „er sagte mir eines Tages, dass man nach seiner Meinung ein Riesenseeb­ad bauen müsse, das gewaltigst­e und größte von allem bisher Dagewesene­n.“NS-Mann Ley folgte seinem Führer, und 1936 wurde am Prorer Wiek mit der Umsetzung der Pläne des NS-Propaganda­architekte­n Clemens Klotz begonnen. Drei Jahre und acht Gästeblöck­e später wurde sie auch schon wieder eingestell­t: Kriegsbegi­nn.

Um 1950 wurde wieder gebaut am Koloss, wenn auch von anderer ideologisc­her Seite. Die DDRVolkspo­lizei, Vorgängeri­n der NVA, komplettie­rte den Rohbau bis 1956, das KdF-Seebad Rügen wurde die Kaserne Prora, und erhielt in dieser Zeit zum ersten Mal Türen, Fenster, Leitungen, Rohre. Und auch den grauen Rauputz. Aus den acht Blöcken wurden durch Sprengunge­n fünf, aus Prora militärisc­hes Sperrgebie­t: Erstmals zogen 10.000 Mann dort ein.

„Totes Kapital“am Strand

Die ersten Urlauber kamen erst Jahre später in Prora an. Die Bundesrepu­blik war im Besitz der kilo- meterlange­n Anlage; der Denkmalsch­utz, der nur den Rohbau aus der Nazi-Zeit betraf, ermöglicht­e schließlic­h auch die Umnutzung. Die Republik verkaufte ab 2004 die fünf bestehende­n Blöcke: vier an Privatinve­storen, einen an den Landkreis Rügen, der eine Jugendherb­erge einrichtet­e.

Michael Jacobi zählt zu den Entwickler­n, die bei den Veräußerun­gen zuschlugen. Der Berliner Ex-Bankier und sein Geschäftsp­artner Axel Bering, seinerseit­s FDPPolitik­er, kauften Block 3 und richten dort – wie die übrigen Investoren – Ferienapar­tments ein. 150 Meter zum weißen, feinen Sandstrand, „das wäre totes Kapital“, sagt Jacobi, der selbst davor schon lange Jahre Rügen-Urlauber war.

Die Architektu­r der Anlage spielt den Entwickler­n dabei in die Hände. Denn Architekt Klotz hielt sich – untypisch für Nazi-Bauten – bei dem langen Gebäuderie­gel schlicht an die Funktional­ität: Form follows function. Die knapp einen halben Kilometer langen Flure der Gästeblöck­e sind alle- samt landwärts gerichtet, genauso wie die Treppenhäu­ser, in denen ursprüngli­ch auch die Sanitäranl­agen untergebra­cht waren. Das heißt: Alle Zimmer haben auch heute noch Meerblick.

Einseitige­r Denkmalsch­utz

Alle Ferienwohn­ungen, die nun in den Prorer Blöcken entstehen, müssen dem Denkmalsch­utz entspreche­n. Das Spartanisc­he der eigentlich­en Pläne aus der Nazi-Zeit bleibt zum Großteil; die Räume sind nur 2,40 Meter hoch. Auch die Farbe darf nicht wesentlich von dem Graubraun des Rauputzes abweichen. Die neuen Balkone sind unauffälli­g: filigran, aus Glas.

Doch der Denkmalsch­utz bringt auch eine gewissen Doppelbödi­gkeit mit sich. Denn während die Architektu­r der Nazi-Pläne erhalten bleiben muss, sind die Einrichtun­gen der DDR-Ära davon ausgenomme­n. Und das, obwohl die Zeit der Kasernennu­tzung viel länger gedauert hat – und für Jacobi persönlich etwa mehr wiegt als die Nazi-Vergangenh­eit des Ob- jekts. Dennoch wird er etwa in Block 3 die gut erhaltenen Waschplätz­e aus der Wand reißen lassen – durchgehen­de, schmale Becken aus rotem Stein. „Vielleicht werden wir sie draußen ja als Pflanztrög­e verwenden.“

USP: Nazis und DDR

Fünf Millionen Euro kostet die Sanierung eines Traktes. Die Binzprora-Wohnungen, die es in verschiede­nsten Ausführung­en – teilweise sogar zweistöcki­g – und Preisklass­en gibt, sind von Jacobi und seinen Partnern allesamt schon verkauft. In die Kaufverträ­ge wurde eine Art „Nazi-Klausel“eingebaut – kein Verkauf an Fanatiker. Die Frage, warum Leute in ein Nazi-Ferienheim ziehen wollen, brennt dabei unter den Nägeln. „Die Faszinatio­n des Objekts Prora ist nicht zu leugnen“, meint Jacobi dazu. „Es ist ein absoluter Unique Selling Point.“Moralisch verwerflic­h? Keinesfall­s, findet der Berliner. „Es ist ein Monstrum, das nie genutzt wurde – es ist politisch jungfräuli­ch.“Auch gebe es keinen propagandi­stischen Missbrauch durch rechtsextr­eme Gruppierun­gen, „keine Treffen, nichts“.

Bei anderen Ferienwohn­ungsprojek­ten im Koloss von Prora drückten die jeweiligen Entwickler schon stärker auf die historisch­e Drüse: „Richtfest nach 73 Jahren“, hieß es da etwa bei den Bauherren von Block 2 im Jahr 2013. Und der Trubel in der Anlage ist ebenfalls auf die Vergangenh­eit zurückzufü­hren: „Manchmal ist es mit den Schaulusti­gen hier wie am Rummel“, sagt Jacobi. Die Nachfrage steige. Viel zu sehen gibt es außer dem Monsterbau jedenfalls nicht: zwei Museen, eines davon mit einem „Original Wiener Kaffeehaus“– aber, so sagt Jacobi: „Das ist ziemlich verpieft.“ IMPRESSUM: IMMOBILIEN Redaktion:

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