„Politisch jungfräulich“: Hitlers Monstrum am Meer
Ferienimmobilien. Aus dem Nazi-Urlaubsresort Prora wird eine Ferienanlage. Die Entwickler sagen, die Vergangenheit sei kein Thema.
Noch wohnen Frösche im Keller von Block 3. Öffnet man die Tür zu den Stufen, die hinabführen in die düsteren Katakomben, hüpfen die Tiere vor einem davon. Da unten ist es schön feucht. Und – für Menschen zumindest – ziemlich gefährlich. Der Zustand der Keller ist nicht mehr der beste; statt Keller könnte man sie auch unterirdische Geröllhalde nennen.
Aber, wie gesagt: Noch ist das so. Block 3 ist eine der letzten Abteilungen der zweieinhalb Kilometer langen Nazi-Immobilie Prora, die nach wie vor im Quasi-Originalzustand sind. Jahrelang witterte der denkmalgeschützte Komplex auf der Ostseeinsel Rügen vor sich hin; die Bundesrepublik wusste nichts so recht anzufangen mit der Immobilie: geplant und gebaut von den Nazis, genutzt von der Nationalen Verteidigungsarmee (NVA) der DDR. In Wahrheit ein Mahnmal gleich zweier Diktaturen.
„Kraft durch Freude“-Anlage
Prora, das war vor allem der nazideutsche Ostseeurlaubstraum. „Das Strandbad der 20.000“: Es hätte das größte Seebad der Welt werden sollen. 10.000 Zimmer für je zwei Urlauber, 2,5 mal fünf Meter groß. Prora war ein Projekt des Nazi-Volksunterhalters „Kraft durch Freude“(KdF), jener Organisation, die das nazideutsche Volk fit machen sollte für den Krieg. Mit Ferienlagern, Kreuzschifffahrten, Urlaubsreisen – und einem Auto, dem KdF-Wagen, das wie der Koloss von Prora der Nachwelt erhalten blieb: als VW Käfer.
„Die Idee dieses Seebades stammt vom Führer selbst“, verkündete KdF-Leiter Robert Ley, „er sagte mir eines Tages, dass man nach seiner Meinung ein Riesenseebad bauen müsse, das gewaltigste und größte von allem bisher Dagewesenen.“NS-Mann Ley folgte seinem Führer, und 1936 wurde am Prorer Wiek mit der Umsetzung der Pläne des NS-Propagandaarchitekten Clemens Klotz begonnen. Drei Jahre und acht Gästeblöcke später wurde sie auch schon wieder eingestellt: Kriegsbeginn.
Um 1950 wurde wieder gebaut am Koloss, wenn auch von anderer ideologischer Seite. Die DDRVolkspolizei, Vorgängerin der NVA, komplettierte den Rohbau bis 1956, das KdF-Seebad Rügen wurde die Kaserne Prora, und erhielt in dieser Zeit zum ersten Mal Türen, Fenster, Leitungen, Rohre. Und auch den grauen Rauputz. Aus den acht Blöcken wurden durch Sprengungen fünf, aus Prora militärisches Sperrgebiet: Erstmals zogen 10.000 Mann dort ein.
„Totes Kapital“am Strand
Die ersten Urlauber kamen erst Jahre später in Prora an. Die Bundesrepublik war im Besitz der kilo- meterlangen Anlage; der Denkmalschutz, der nur den Rohbau aus der Nazi-Zeit betraf, ermöglichte schließlich auch die Umnutzung. Die Republik verkaufte ab 2004 die fünf bestehenden Blöcke: vier an Privatinvestoren, einen an den Landkreis Rügen, der eine Jugendherberge einrichtete.
Michael Jacobi zählt zu den Entwicklern, die bei den Veräußerungen zuschlugen. Der Berliner Ex-Bankier und sein Geschäftspartner Axel Bering, seinerseits FDPPolitiker, kauften Block 3 und richten dort – wie die übrigen Investoren – Ferienapartments ein. 150 Meter zum weißen, feinen Sandstrand, „das wäre totes Kapital“, sagt Jacobi, der selbst davor schon lange Jahre Rügen-Urlauber war.
Die Architektur der Anlage spielt den Entwicklern dabei in die Hände. Denn Architekt Klotz hielt sich – untypisch für Nazi-Bauten – bei dem langen Gebäuderiegel schlicht an die Funktionalität: Form follows function. Die knapp einen halben Kilometer langen Flure der Gästeblöcke sind alle- samt landwärts gerichtet, genauso wie die Treppenhäuser, in denen ursprünglich auch die Sanitäranlagen untergebracht waren. Das heißt: Alle Zimmer haben auch heute noch Meerblick.
Einseitiger Denkmalschutz
Alle Ferienwohnungen, die nun in den Prorer Blöcken entstehen, müssen dem Denkmalschutz entsprechen. Das Spartanische der eigentlichen Pläne aus der Nazi-Zeit bleibt zum Großteil; die Räume sind nur 2,40 Meter hoch. Auch die Farbe darf nicht wesentlich von dem Graubraun des Rauputzes abweichen. Die neuen Balkone sind unauffällig: filigran, aus Glas.
Doch der Denkmalschutz bringt auch eine gewissen Doppelbödigkeit mit sich. Denn während die Architektur der Nazi-Pläne erhalten bleiben muss, sind die Einrichtungen der DDR-Ära davon ausgenommen. Und das, obwohl die Zeit der Kasernennutzung viel länger gedauert hat – und für Jacobi persönlich etwa mehr wiegt als die Nazi-Vergangenheit des Ob- jekts. Dennoch wird er etwa in Block 3 die gut erhaltenen Waschplätze aus der Wand reißen lassen – durchgehende, schmale Becken aus rotem Stein. „Vielleicht werden wir sie draußen ja als Pflanztröge verwenden.“
USP: Nazis und DDR
Fünf Millionen Euro kostet die Sanierung eines Traktes. Die Binzprora-Wohnungen, die es in verschiedensten Ausführungen – teilweise sogar zweistöckig – und Preisklassen gibt, sind von Jacobi und seinen Partnern allesamt schon verkauft. In die Kaufverträge wurde eine Art „Nazi-Klausel“eingebaut – kein Verkauf an Fanatiker. Die Frage, warum Leute in ein Nazi-Ferienheim ziehen wollen, brennt dabei unter den Nägeln. „Die Faszination des Objekts Prora ist nicht zu leugnen“, meint Jacobi dazu. „Es ist ein absoluter Unique Selling Point.“Moralisch verwerflich? Keinesfalls, findet der Berliner. „Es ist ein Monstrum, das nie genutzt wurde – es ist politisch jungfräulich.“Auch gebe es keinen propagandistischen Missbrauch durch rechtsextreme Gruppierungen, „keine Treffen, nichts“.
Bei anderen Ferienwohnungsprojekten im Koloss von Prora drückten die jeweiligen Entwickler schon stärker auf die historische Drüse: „Richtfest nach 73 Jahren“, hieß es da etwa bei den Bauherren von Block 2 im Jahr 2013. Und der Trubel in der Anlage ist ebenfalls auf die Vergangenheit zurückzuführen: „Manchmal ist es mit den Schaulustigen hier wie am Rummel“, sagt Jacobi. Die Nachfrage steige. Viel zu sehen gibt es außer dem Monsterbau jedenfalls nicht: zwei Museen, eines davon mit einem „Original Wiener Kaffeehaus“– aber, so sagt Jacobi: „Das ist ziemlich verpieft.“ IMPRESSUM: IMMOBILIEN Redaktion:
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