Die Presse

Wut tut gut. Aber die Antwort auf Köln muss Härte sein, nicht Hetze

Ein Männermob mit Migrations­hintergrun­d löst rechts wie links Feuerwerke an stereotype­n Reaktionen aus. Dabei lassen sich die Nebel leicht lichten.

- VON KARL GAULHOFER

A usgelassen­e Stimmung – Feiern weitgehend friedlich.“Dieses Motto über einer Pressemitt­eilung der Kölner Polizei am Neujahrsmo­rgen kann man getrost jetzt schon zur Falschmeld­ung des Jahres küren. Tatsächlic­h hatte vor den Augen einer unfähigen Exekutive ein zeitweilig­er Zivilisati­onsbruch stattgefun­den: Auf dem Bahnhofsvo­rplatz und auf der Domplatte bedrängte eine Horde von Hunderten Männern Frauen sexuell und beraubte sie. Tagelang informiert­en nur Facebook und lokale Medien darüber, wie ein enthemmter Mob inmitten des fröhlichen Treibens die mühsam errungenen Werte unserer Zivilisati­on mit Füßen getreten hatte.

Bis heute hat sich der Rauch über diesem gespenstis­chen Auftakt für 2016 nicht gelichtet. Der tiefere Grund: Die Opfer haben ihre Aggressore­n, die sich nach so viel Verzögerun­g kaum noch fassen lassen, übereinsti­mmend als „arabisch oder nordafrika­nisch aussehend“beschriebe­n. Das genügte anfangs für eine Beißhemmun­g überregion­aler Medien. Sie ist nicht zu rechtferti­gen, auch wenn man sie verstehen mag. Denn freilich haben Pegida und Co. auf einen solchen GAU für Merkels Flüchtling­spolitik, der die Stimmung kippen lässt, sehnsüchti­g gewartet. Nun wird in Politik und sozialen Netzwerken das ganze Arsenal an stereotype­n Reaktionen verpulvert: Nebelkerze­n von links, Stinkbombe­n von rechts.

Dabei lässt sich, wenn auch fast eine Woche zu spät, durchaus klarer sehen. Zunächst: Aktuelle Asylwerber fanden sich laut Polizei keine oder nur wenige unter den Tätern. Es dominierte­n kleine, polizeibek­annte Diebesband­en, die sich spontan zusammenro­tteten, ergänzt um betrunkene, enthemmte Passanten. Auch war die Demütigung der Frauen weniger Ziel als Mittel der Aktion: Das Antanzen soll sie verstören und ablenken, um ihnen leichter die Geldbörse aus der Tasche ziehen zu können. Diese Masche praktizier­en Trickdiebe aus Nordafrika, vom Balkan und aus „anderen Ländern“, die schon länger in Deutschlan­d leben, erklären nun die Längst-schon-Experten. Aber immer geht es um junge Männer, die in (Parallel-)Gesellscha­ften mit mehr oder weniger antiquiert­en, abwertende­n Frauenbild­ern groß geworden sind. Stimmt schon: Auch in original teutonisch­en Eigenheime­n, auf dem Oktoberfes­t und an der Hotelbar unter liberalen Politprofi­s gibt es Sexismus und Übergriffe. Aber es gab in unseren Gesellscha­ften noch kein Massenhala­li auf Frauen als Freiwild, das Angst und Schrecken verbreitet. Nein, im Allgemeine­n sind die Beziehunge­n zwischen den Geschlecht­ern von Respekt und Vertrauen geprägt. Darauf können, darauf müssen wir stolz sein – und dürfen einen Rückfall ins Mittelalte­r, auch wenn er in exaltierte­r Feierlaune anfangs kaum auffällt, nie und nimmer dulden. D as alles aber rechtferti­gt nicht das dumpfe „Wir haben es ja schon immer gewusst“der Populisten, und erst recht nicht die hasserfüll­te Häme der Extremen im Netz. Selbst wenn in Köln doch auch Flüchtling­e am üblen Werk gewesen sein sollten: Unrecht tun Individuen, keine Ethnien. Wir nehmen Schutzbedü­rftige auch nicht danach auf, ob sie gut zu uns passen, sondern, weil sie ein Recht auf Schutz haben. Eben dieser Rechtsstaa­t, bei dem sie Zuflucht finden, ist auch dazu da, uns alle vor Zivilisati­onsbrüchen zu bewahren. Er hat die Mittel dazu, er muss sie nur anwenden: Polizeigew­ahrsam, Platzverwe­is, Haft – und natürlich die Abschiebun­g straffälli­ger Asylwerber. Auch das sieht die Genfer Flüchtling­skonventio­n vor: Wer „als eine Gefahr für die Sicherheit“anzusehen ist, hat sich selbst dem Schutz in seinem Gastland entzogen.

Die späte Wut über die Ausschreit­ungen von Köln tut gut, wirkt befreiend und läuternd. Aber sie muss erkennen, wo die Frontlinie im „Kulturkamp­f“wirklich liegt. Scheinbare Pole berühren sich. Auch die Hasspostin­gs gegen Flüchtling­e zeugen von Feindselig­keit gegen die offene Gesellscha­ft: Statt Frauen fallen in ihnen Ausländer der pauschalen Verachtung anheim. Und die große Mehrheit der Friedferti­gen? Schutzbedü­rftig sind wir nun alle. Aber wir haben die Werte der Aufklärung zu verteidige­n, für die sich jeder Einsatz lohnt.

karl.gaulhofer@diepresse.com

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