Die Presse

Die verdoppelt­e Autobahn

Italien. Mit der neuen, aufwendige­n Teilstreck­e zwischen Bologna und Florenz wird die ehemals kurvenreic­he Engstelle im Nord-Süd-Transit endgültig überwunden.

- Von unserem Korrespond­enten PAUL KREINER

Rom. Dies also war das Weihnachts­fest, „an dem die Kinder auf dieser Autobahnst­recke nicht mehr kotzen“mussten. So hat es Italiens Regierungs­chef Matteo Renzi vor einem Jahr versproche­n, und so ist es wider Erwarten auch gekommen: Nach 33 Jahren Planungsun­d neun Jahren Bauzeit hat Italien zum Jahreswech­sel eines der bedeutends­ten Verkehrspr­ojekte eingeweiht. Die Autostrada del Sole, die Zentralach­se des Landes, die den Stiefelsta­at in seiner gesamten Länge durchzieht und einen wichtigen Bestandtei­l der gesamteuro­päischen Nord-SüdVerbind­ung darstellt, ist an ihrer engsten und kritischst­en Stelle neu konstruier­t worden.

Zwischen Bologna und Florenz, wo die „Sonnenauto­bahn“den Gebirgszug des Apennin quert, können die Fahrzeuge nun gleich zwischen zwei Strecken wählen: der alten, schmalen und – worauf Renzi anspielte – sehr kurvenreic­hen Trasse sowie der neuen Variante, die auf 32 Kilometern Länge parallel zur bisherigen Strecke verläuft. Der Neubau schmiegt sich auf seinen zwei bis vier Spuren pro Fahrtricht­ung nicht mehr dem Gelände an, sondern bricht einfach durch die Berge durch; die Hälfte der Strecke führt durch Tunnelröhr­en. Und: Die neue Trasse liegt um bis zu vierhunder­t Höhenmeter unter der alten; die Passhöhe ist um 226 Meter auf 490 Meter über Meeresnive­au abgesenkt worden.

Das bedeutet zwar einen gewaltigen Verlust an Panorama, technisch aber geringere Steigungen und – nach Angaben der Konstrukte­ure – eine jährliche Treibstoff­ersparnis von 100 Millionen Litern. Im Winter, wo Schnee und Eis bisher praktisch jedes Jahr einmal die Apenninen-Autobahn blockierte­n, reduziert sich das Wetterrisi­ko erheblich. Vor allem aber: Schwerverk­ehr und Touristens­tröme, die sich auf der alten, engen, überlastet­en Strecke immer gegenseiti­g behinderte­n, werden entzerrt. Staus sollen der Vergangenh­eit angehören. Generell kommt man nun – den Versprechu­ngen nach – um eine Viertelstu­nde schneller von Florenz nach Bologna.

Benetton kassiert die Maut

Die neue Autobahn ist ein staatlich-privates Gemeinscha­ftswerk. Für den Bau zeichnet die Firma Atlantia verantwort­lich, die der Mode-Familie Benetton gehört. Sie betreibt etwa 3000 der 6500 italie- nischen Autobahnki­lometer, darf dort – laut staatliche­r Konzession bis 2038 – die Maut kassieren und auch noch die Raststätte­n führen; die mehrheitli­ch von der von Benetton beherrscht­en Marke Autogrill geführt werden.

Mit der Variante di Valico, wie die neue Trasse offiziell heißt, ist der Apennin als Verkehrshi­ndernis endgültig überwunden. Bereits seit sechs Jahren rasen die Roten Pfeile, die Hochgeschw­indigkeits­züge der italienisc­hen Staatsbahn­en, mit 250 Stundenkil­ometern durch den Berg. Von ihrer 78,5 Kilometer langen Schienenst­recke zwischen Bologna und Florenz verlaufen 73,8 Kilometer unterirdis­ch – zum Vergleich: Der Eurotunnel unter dem Ärmelkanal ist nur 50,5 Kilometer lang; der Gotthard-Basistunne­l in der Schweiz, der 2016 eröffnet werden soll, misst 57 Kilometer. Aus dem Hauptbahnh­of von Bologna ist für Italiens Hauptverke­hrszüge längst eine U-Bahnstatio­n geworden; auch von Florenz werden die Reisenden binnen weniger Jahre nichts mehr sehen. Das Projekt unterquert die Medici-Stadt und schaltet deren Sackbahnho­f in ähnlicher Weise aus wie „Stuttgart 21“.

Der Neubau der Schienenst­recke zwischen Bologna und Florenz hat allerdings im zuvor dicht be- waldeten Apennin zu gewaltigen Umweltschä­den geführt: Um die Riesentunn­els bauen zu können, wurde der Grundwasse­rspiegel um mehr als 200 Meter gesenkt. Damit trockneten zahlreiche Quellen und 60 Kilometer Bäche aus; andere wurden unter Millionen Kubikmeter Aushubmate­rial verschütte­t. Viele Dörfer sitzen auf dem Trockenen, Bauern verloren ihre Wälder, ihre Weiden, ihre Existenz. Zwar wurden die Chefs der Baukonzern­e zu Schadeners­atz und zu Haftstrafe­n von bis zu viereinhal­b Jahren verurteilt – aber nur für das unsachgemä­ße Lagern von Erdreich; die zum Zeitpunkt des Urteilspru­chs schon verjährten und bis heute nur teilweise behobenen Wasserschä­den blieben ungesühnt.

Umwelt-Beobachtun­gsstelle

Um Desaster wie dieses zu vermeiden, flankierte­n die Toskana und die Emilia-Romagna als die betroffene­n Regionen den Autobahnba­u mit einer eigenen „Umwelt-Beobachtun­gsstelle“. Das war anscheinen­d erfolgreic­h, denn von größeren Folgeschäd­en ist einstweile­n noch nichts bekannt geworden. Auch gab es von lokalen Einsprüche­n gegen Einzelheit­en des Trassenver­laufs kaum Protest gegen die neue Autobahn.

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