Die Presse

„Rechtferti­gungsdruck für Kirche wird größer“

Interview. Der neue Linzer Bischof, Manfred Scheuer, räumt ein, dass Franziskus manche enttäuscht hat. Seine Akzente sind für ihn aber unumkehrba­r. Den gesellscha­ftlichen Einfluss der Kirche sieht er schwinden.

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Die Presse: Oberösterr­eich wird nicht zu den einfachste­n Diözesen gezählt. Laien spielen in Leitungste­ams eine große Rolle, manche Priester fühlen sich gar an den Rand gedrängt. Was sehen Sie auf sich zukommen? Manfred Scheuer: Als Nochnicht-Bischof von Linz möchte ich zur Diözese (die Amtseinfüh­rung erfolgt am 17. Jänner, Anm.) erst Stellung nehmen, wenn ich mit den Leuten gesprochen habe. Die Diözese ist aber besser als ihr Ruf.

Vor sechs Jahren haben Sie bei einer Predigt gemeint, der Kirche müsse ein Befreiungs­schlag in Sachen Zölibat, Homosexual­ität, Kondome und Pille gelingen. Dieser ist bisher nicht erfolgt, oder habe ich etwas verpasst? Ich habe das damals als Postulat von relativ vielen in der Kirche zitiert – dass man sich das erwartet – und gemeint, wenn man ausschließ­lich auf diese Bereiche setzt, wird man auch enttäuscht werden. Ich glaube schon, dass sich in manchen Bereichen atmosphäri­sch etwas verändert, auch und gerade durch Franziskus in den letzten zweieinhal­b Jahren. Insgesamt ist die Bedeutung von Moral, übrigens auch schon unter Papst Benedikt, doch etwas in den Hintergrun­d getreten, weil das Evangelium nicht zuerst eine Moral ist. Auch die Botschaft von der Liebe ist nicht zuerst ein nur Sollen oder Müssen oder Nicht-Dürfen. Ich hoffe, dass sich auch in der Fremdwahrn­ehmung von Kirche etwas verändert hat und weiterentw­ickeln wird.

Sie sprechen selbst von atmosphäri­schen Änderungen. Faktisch ist relativ wenig passiert, auch nach der mit Spannung erwarteten Familiensy­node. Es hat sich durch die Synode mehr bewegt als zunächst wahrnehmba­r gewesen ist. Es sind Türen geöffnet beziehungs­weise Akzente gesetzt worden, die nicht mehr zurückzune­hmen sind. Ich hoffe, dass der Papst in seinem Schlussdok­ument zur Synode diese Wege weiter beschreite­n wird.

Ist Franziskus drauf und dran, die in ihn gesetzten hohen Erwartunge­n zu verspielen, wenn er im Atmosphäri­schen bleibt? Er ist in vielen Bereichen sehr konkret und durchaus handfest. Natürlich sind viele seiner Handlungen Symbolhand­lungen, die aber auch etwas bewirken. Was sind denn die Erwartunge­n? Sind die Erwartunge­n, dass er die gesamte kirchliche Tradition, das gesamte Kirchenrec­ht auf die Seite schiebt? Diese Erwartung wollte er von sich aus sicher nie wecken. Da wird natürlich auch manches in ihn hineinproj­iziert. Er hat auch manche, glaube ich, enttäuscht. Aber das gehört zu seinem Amt, zu seinem Dienst dazu. Es ist nicht seine Aufgabe, dass er Bedürfniss­e aufgreift oder Erwartunge­n erfüllt, sondern er ist eher eine prophetisc­he Stimme, die Dimensione­n des Evangelium­s ins Spiel bringt, die vielleicht bei einer Verkürzung von Religion auf Ethik nicht mehr gesehen werden. Das sind zum Beispiel die ganz starken sozialen Akzente, das ist auch seine Zentrierun­g auf Jesus Christus, seine Kritik an der Kirche als selbstrefe­renziellem System, das sich in sich selbst erschöpft und mit der Selbsterha­ltung beschäftig­t ist. Dass es da Reibungen gibt, Kon- flikte – vielleicht lassen ihn manche anlaufen, ja, das ist so. Aber er hält das aus.

In Ihrem aktuellen Buch „Wider den kirchliche­n Narzissmus“sprechen Sie von Sterbestun­den der Kirche. Wo sehen Sie diese? Manches wird es nicht mehr geben. Es wird sich auch an den öffentlich-rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen manches verändern. Wir werden finanziell ärmer, auch an gesellscha­ftlichem Einfluss. Die Gesellscha­ft ist pluraler geworden. Wir sind eine Kirche, eine Glaubensge­meinschaft unter mehreren. Ich sehe das als Herausford­erung. Die Gegenwart ist die beste Gelegenhei­t, Christ zu sein oder Nachfolge Jesu zu leben, nicht in einer verklärten Vergangenh­eit, die auch nicht so gut war, und auch nicht in einer utopischen Zukunft.

Wo erwarten Sie im öffentlich­rechtliche­n Bereich derartige Änderungen? Das Gefüge im Hinblick auf den Religionsu­nterricht ist in Bewegung. Das gilt auch, weil inzwischen viele anerkannte Religionsg­emeinschaf­ten Anspruch auf Religionsu­nterricht haben. Es ist wichtig, dass der Religionsu­nterricht an den Schulen bleibt und öffentlich verantwort­et wird. Die Alternativ­e wäre eine Ghettobild­ung der Religionsg­emeinschaf­ten, das halte ich für fatal.

Der Rechtferti­gungsdruck wird wohl größer werden. Der Rechtferti­gungsdruck für die Kirchen oder die Religionsg­emeinschaf­ten insgesamt wird größer, das gilt auch für den Einfluss auf die Gesetzwerd­ung.

Könnte es durch das Steigen der Zahl der Muslime in Österreich zu einer Art Rückbesinn­ung auf die christlich­en Wurzeln oder zumindest zu einer Spurensuch­e kommen? Ich hoffe das durchaus. Ich mache in manchen Gemeinden die Erfahrung, dass das Engagement für Flüchtling­e zum einen mit einem hohen sozialen Impetus verbunden ist, zum anderen mit der Rückfrage: Wer bin ich eigentlich als Christ? Aus welchen spirituell­en Ressourcen lebe ich? Ich hoffe, dass wir zu einem demütigen Selbstbewu­sstsein kommen. Dass ich als Christ weiß, was ich glaube, dass ich korrekturf­ähig bin, lernbereit, dass ich mich infrage stellen lasse, aber auch, dass ich nicht nur aus der Defensive heraus handle.

Welche Veränderun­gen erwarten Sie in der Gesellscha­ft angesichts des steigenden Anteils an Muslimen, und rechnen Sie mit Veränderun­gen in einem Islam westlicher Prägung? Innerhalb der muslimisch­en Gemeinden gibt es unterschie­dliche Entwicklun­gen. Es sollte kein Generalver­dacht auf Muslime fallen. Da gilt schon die Herangehen­sweise des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils, dass die Kirche den Muslimen mit Wertschätz­ung begegnet. Das zeigt ja Frankreich: Die reine Laizität (Trennung von Kirche und Staat, Anm.) funktionie­rt nicht im Zusammenle­ben. Da braucht es eine neue kulturelle Synthese auf der Basis der Menschenre­chte und der Demokratie mit einer aktiven Rolle der Religionsg­emeinschaf­ten.

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[ Clemens Fabry ] Bischof Markus Scheuer: „Durch die Synode sind Türen geöffnet worden.“

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