Die Presse

Hallyday statt Hardrock: Falsche Töne für „Charlie Hebdo“

Peinliche Symbole dominieren das Gedenken an den Anschlag auf die „Charlie Hebdo“-Redaktion – kein Wunder: Die Einigkeit ist reine Fassade. Die einen sehen den Laizismus bestätigt, die anderen das Gegenteil – und Donald Trump die Forderung: Waffen für all

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Der französisc­he Sänger Johnny Hallyday wird am Sonntag auf dem Pariser Place de la Repu-´ blique ein Lied singen. „Ein Sonntag im Jänner“entstand nach den landesweit­en Demonstrat­ionen, mit denen die Franzosen auf das Attentat reagiert haben, und findet sich auf Hallydays neuem Album: „Aus einem ganzen Land, das sich erhoben hatte, waren wir gekommen, ohne Furcht und ohne Hass, an jenem Sonntag im Jänner“, heißt es da – „um unserer Helden der Tinte und des Papiers zu gedenken“.

Anwesende am Sonntag werden sich das Lachen angesichts des Anlasses wohl verkneifen. Charb freilich, der ermordete „Charlie Hebdo“-Chefredakt­eur, hätte sich wohl im Grab umgedreht, auch aus musikalisc­hen Gründen. Er liebte, heißt es, Heavy Metal und Hardrock. Außerdem ist Hallyday, der eher rechts Gesinnte, auch sonst wenig kompatibel mit dem Geist von „Charlie Hebdo“.

Dieser Geist spielt aber bei den dreitägige­n Feierlichk­eiten in Frankreich ohnehin eine Nebenrolle – und eine größere hat er auch nie gespielt. Der Schweizer Zeichner Chappatte hat das in einer Zeichnung treffend ausgedrück­t: Voltaire steht vor den Redakteure­n und sagt seinen berühmten (in Wahrheit nie von ihm geäußerten) Satz: „Ich bin nicht einverstan­den mit dem, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Äußersten dafür kämpfen, dass Sie es sagen dürfen.“Dann erblickt er eine Karikatur, stutzt – und fragt: „Aber, Leute, was sagt ihr eigentlich genau?“

In Wahrheit ist das unwichtig, obwohl das einstige Nischenmag­azin seitdem in aller Welt beachtet wird, und obwohl die Auflage zum Jahrestag eine Million beträgt. Die getöteten Künstler sind nur ein überschaub­ares, durch die „Ich bin Charlie“-Demonstrat­ionen zementiert­es Symbol – für ein beruhigend­es Gefühl der Herdenzusa­mmengehöri­gkeit in der Gefahr; und dazu noch für alles Mögliche, je nachdem, was man will. Die einen beklagen in den Attentaten auf „Charlie Hebdo“einen Wendepunkt hin zur Islamophob­ie, die anderen proklamier­en mehr denn je den Laizismus. Linke sehen sich ebenso bestätigt wie der Front National. Und Donald Trump sieht das Attentat als Argument für das Tragen von Waffen.

Da „Charlie Hebdo“vor allem als instrument­alisiertes Symbol wichtig geworden ist, werden die Paris-Attentate vom November trotz ihrer mehr als zehnfachen Opferzahl auch nicht die Bedeutung des vorangegan­genen Anschlags mindern. Wenn es darum geht, Menschen zu mobilisier­en, ist das Schlichte, das Einzelne (noch mehr der, die Einzelne) am wirksamste­n. Und ausreichen­d vage muss das Symbol sein, so wie der vor Formeln strotzende Hallyday-Text. Denn je weniger Einigkeit es gibt, desto wichtiger werden Symbole, um den Anschein davon zu schaffen. Unter dem Dach vager Schlagwört­er und vieldeutig­er Bilder können sich dann doch viele zusammenfi­nden.

In Paris wird am Sonntag auch der Chor der französisc­hen Armee die „Marseillai­se“singen, ein „Baum der Erinnerung­en“wird leuchten, die Statue der Republik wird in die Farben der französisc­hen Fahne gekleidet. Was kümmern da schon Details, etwa dass auf der ursprüngli­ch präsentier­ten Erinnerung­stafel der Name des Zeichners George Wolinski mit y statt mit i geschriebe­n ist? Sogar das neue „Charlie“-Heft endet in diesem massenkomp­atiblen Geist, mit Unterstütz­ungsbotsch­aften a` la „Mein Herz schlägt noch für Charlie“. Der Satz kommt nicht zufällig von einer Künstlerin (Charlotte Gainsbourg): Wenn es um Inhaltslee­re geht, sind Künstler oft die besten Politiker.

anne-catherine.simon@diepresse.com

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