Wasserstoff auf dem langen Weg zum Metall
Chemie. Vor 80 Jahren sagte Wigner voraus, dass das erste, leichteste Element rein metallisch werden könne. Schottische Forscher kamen diesem Ziel nun einen Schritt näher.
Wer je mit Chemikern in Kontakt gekommen ist, weiß, dass sie ihre Elemente in zwei Gruppen einteilen: in Metalle und Nichtmetalle. Jene, meist silbrig glänzend, stellen die deutliche Mehrheit (ca. 80 Prozent), doch die Elemente, die die Verbindungen des Lebens aufbauen (freilich manchmal garniert mit Metallen, etwa Magnesium im Chlorophyll), sind allesamt Nichtmetalle: Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Phosphor, Schwefel. Und natürlich Wasserstoff, das erste und leichteste Element. Dabei tut er etwas, was sonst Metalle tun: Er gibt gern ein (sein einziges) Elektron ab und bildet positive Ionen, H+.
Könnte man also den Wasserstoff, der schließlich im Periodensystem in einer Spalte mit den Alkalimetallen (Lithium, Natrium, Kalium usw.) steht, nicht auch als Metall ansehen? Könnte er gar in einem metallischen Zustand existieren? Der spätere Physiknobelpreisträger (1963) Eugene Wigner, ein Meister der Quantentheorie, sagte das 1935 erstmals voraus: Unter extremem Druck könnten die Elektronen, die sonst die sehr starke Bindung in den H2-Molekülen bilden, sich von dieser emanzipieren und das bilden, was man ein Elektronengas nennt: Elektronen, die nicht mehr fix zu bestimmten Atomen gehören, sondern frei beweglich sind – und damit etwa elektrischen Strom leiten können. Das ist ja eine wesentliche Eigenschaft der Metalle.
Den notwendigen Druck konnten irdische Physiker lang nicht herstellen. Er herrsche aber im Inneren des Jupiters, der ja zu 75 Prozent aus Wasserstoff besteht, haben Astrophysiker gesagt: Sie haben das Magnetfeld dieses Riesenplaneten durch Strömungen von metallischen Wasserstoff erklärt.
Vor 19 Jahren, im März 1996, berichteten Forscher vom Lawrence Livermore National Laboratory, sie hätten den ersten metallischen Wasserstoff hergestellt, wenn auch nur für eine Mikrosekunde, durch schockartige Kompression von flüssigem Wasserstoff: Bei einem Druck von über einem Megabar (in den unpraktischen, aber amtlichen Einheiten: 1011 Pascal) habe die elektrische Leitfähigkeit jäh zugenommen. Aus deren Wert errechneten die Forscher, dass ca. fünf Prozent der H2-Moleküle dissoziiert seien. Man muss kein großer Skeptiker sein, um zu fragen: Kann man bei diesem „shocking state of matter“, wie „Nature“ihn nannte, wirklich von einem Metall sprechen? Auch wurde er erst bei sehr hohen Temperaturen – 2000 Kelvin – erreicht.
Suprafluid und supraleitend?
Wieder 14 Jahre später, 2011, erklärten Chemiker vom Max-Planck-Institut in Mainz, sie hätten Wasserstoff bei Raumtemperatur unter Druck gesetzt: Bei 230.000 Bar wäre er erstarrt, bei 2,2 Megabar zum Halbleiter geworden, bei 2,7 Megabar zum Metall. Es könnte sein, dass der Wasserstoff bei diesem Druck nicht als Festkörper vorliegt, sondern als metallische Flüssigkeit wie Quecksilber, haben die Forscher gemeint – und gar damit spekuliert, dass er zugleich suprafluid und supraleitend sein könnte. Doch auch in ihm sind die H2-Moleküle nicht allesamt dissoziiert.
Diesem ersehnten Zustand noch näher gekommen sind nun Forscher um Philip Dalladay-Simpson (Edinburgh): Sie haben 3,5 Megabar erreicht und schließen aus spektroskopischen Messungen, dass der Wasserstoff einen bisher unbekannten Zustand erreicht habe. „Wir spekulieren“, schreiben sie vorsichtig in „Nature“(6. 1.), „dass Phase V der Vorläufer des nicht molekularen (atomaren und metallischen) Zustands von Wasserstoff sein könnte, der vor 80 Jahren vorhergesagt wurde.“Wer weiß? Ein pauschales Resümee der 80 Jahre Suche nach dem metallischen H: Im Kollektiv kann auch das simpelste Atom eine durchaus komplexe, schwer beschreibbare Palette an Zuständen bilden.