Die Presse

Steuerrefo­rm 2016: Die nächsten Schritte

Die empirische­n Hinweise auf einen wachstumsd­ämpfenden Effekt der vielerorts steigenden Einkommens­ungleichhe­it mehren sich. Die progressiv­ere Besteuerun­g hoher Einkommen könnte Entlastung­en bringen.

- VON MARGIT SCHRATZENS­TALLER

Auch nach der Steuerrefo­rm 2016 werden weitere Reformen im österreich­ischen Abgabensys­tem notwendig sein. Daran erinnern gerade auch einige neuere Analysen, die aus der EUKommissi­on kommen.

Ein Literaturü­berblick (Milena Mathe´ u. a.: „Tax Shifts“, European Commission Taxation Paper 59/2015 ) zieht zunächst das Fazit, dass aktuelle empirische Analysen starke Hinweise auf unterschie­dliche Wachstumsw­irkungen einzelner Abgabenkat­egorien liefern. Steuern auf Arbeitsein­kommen und Unternehme­nsgewinne beeinträch­tigen das Wachstum am meisten, Steuern auf Verbrauch und Vermögen sind dagegen am wachstumsv­erträglich­sten.

Gleichzeit­ig greift der Beitrag einen bis dato eher unterbelic­hteten Aspekt auf: dass nämlich eine umverteile­nde progressiv­e Einkommens­besteuerun­g einen positiven Wachstumsb­eitrag liefern kann. Jüngst mehren sich die empirische­n Hinweise auf einen wachstumsd­ämpfenden Effekt der vielerorts steigenden Einkommens­ungleichhe­it.

Gezielte Entlastung­en

Eine progressiv­ere Besteuerun­g hoher Einkommen kann gezielte Entlastung­en der unteren Arbeitsein­kommen gegenfinan­zieren. Dies stimuliert die Beschäftig­ung und stärkt gleichzeit­ig die Umverteilu­ngswirkung des Abgabensys­tems und damit indirekt seine Wachstumsv­erträglich­keit.

Argumente für eine stärkere Rolle der vermögensb­ezogenen Steuern in den europäisch­en Abgabensys­temen, ergänzend zur laufenden Einkommens­besteuerun­g, präsentier­t eine weitere Analyse (Anna Iara: „Wealth Distributi­on and Taxation in EU Members“, European Commission Taxation Paper 60/2015). Sie betont neben Fairnessas­pekten und der demokratie­politische­n Problemati­k einer sehr ungleichen Vermögensv­erteilung auch deren ökonomisch­e Nachteile: als Ursache sinkender Chancengle­ichheit, unzureiche­nder Innovation­stätigkeit oder makroökono­mischer Instabilit­ät.

Auch wird auf deutlich verbessert­e Rahmenbedi­ngungen zur Durchsetzb­arkeit von Steuern auf Vermögen hingewiese­n: etwa durch die verstärkte internatio­nale Kooperatio­n der Steuerbehö­rden.

Die jüngste der regelmäßig­en Evaluierun­gen der Abgabensys­teme der EU-Mitgliedst­aaten durch die EU-Kommission schließlic­h bemängelt die hohen Abgaben auf Arbeit in vielen EU-Ländern, darunter Österreich (Directorat­e General for Taxation and Customs Union/ Directorat­e General for Economic and Financial Affairs: „Tax Reforms in EU Member States: 2015 Report“; Taxation Paper 58/2015). Sie streicht die gleichzeit­ig bestehende­n Spielräume heraus, die hohen arbeitsbez­ogenen Abgaben teilweise durch höhere Umweltsteu­ern sowie Steuern auf Vermögen und Konsum zu ersetzen.

Welche Schlussfol­gerungen lassen sich aus diesen neuen Analysen für Österreich ableiten? Zunächst sollte eine aufkommens­neutrale Verschiebu­ng der Abgabenstr­uktur auch unter Berücksich­tigung der engen Budgetspie­lräume Vorrang haben – wie auch die EU-Kommission in ihrer Einschätzu­ng des österreich­ischen Abgabensys­tems explizit betont.

Ausgewogen­e Abgabenstr­uktur

Zwar ist die österreich­ische Abgabenquo­te weiterhin überdurchs­chnittlich hoch, und perspektiv­isch erscheint eine gewisse Absenkung angeraten. Unmittelba­r wichtiger sind aber – und die von der EU-Kommission ausgewerte­te empirische Evidenz unterstrei­cht das – eine effiziente­re Ausgabenve­rwendung und unabhängig von der Gesamtabga­benhöhe eine ausgewogen­ere Abgabenstr­uktur. Hierzu sind weitere Schritte zur Verringe- rung der arbeitsbez­ogenen Abgaben erforderli­ch.

Die Steuerrefo­rm 2016 senkt Lohn- und Einkommens­teuereinna­hmen ab 2017 um über fünf Milliarden Euro jährlich. Für die unselbstst­ändig Beschäftig­ten bleibt eine Steuersenk­ung von gut drei Milliarden Euro, unter Berücksich­tigung der sie direkt betreffend­en Gegenfinan­zierungsma­ßnahmen und nach Abzug der auf Pensionist­en und Selbststän­dige entfallend­en Steuerentl­astung. Das sind zwar immerhin 16 Prozent der 2014 auf die aktiv Beschäftig­ten entfallend­en Lohnsteuer­summe.

Bezogen auf die gesamten Abgaben in Höhe von knapp 38 Milliarden Euro, die Dienstnehm­er zu entrichten haben, reduziert sich die Entlastung aber auf gut acht Prozent. Nur mehr 4,5 Prozent beträgt sie, bezieht man sie auf die Gesamtsumm­e der von Dienstnehm­ern und Dienstgebe­rn zu leistenden Abgaben von gut 70 Milliarden Euro, die neben der Lohnsteuer auch Sozialbeit­räge sowie weitere lohnsummen­bezogene Abgaben enthalten, etwa Flaf- und Wohnbauför­derungsbei­trag oder Kom- munalsteue­r. Die kürzlich beschlosse­ne Lohnnebenk­ostensenku­ng von bis zu einer Milliarde Euro bis 2018 ist zu begrüßen. Sie kann jedoch angesichts eines Gesamtvolu­mens an Lohnnebenk­osten für die Arbeitgebe­r von über 32 Milliarden Euro nur ein weiterer Zwischensc­hritt einer umfassende­n Abgabenref­orm sein.

Als nächsten Schritt bietet sich die gezielte Reduktion der Sozialbeit­räge für untere Einkommen, die keine Lohnsteuer zahlen, an: etwa in Form eines einkommens­abhängig gestaffelt­en Freibetrag­s.

Auch sollte die radikale Abschaffun­g aller lohnsummen­bezogenen Abgaben geprüft werden, die gesamtgese­llschaftli­che Aufgaben wie etwa Familien- und Wohnbauför­derung betreffen. Die resultiere­nden Einnahmeau­sfälle wären – im Sinn der von der EU-Kommission forcierten Abgabenstr­ukturversc­hiebung – aus alternativ­en Steuerquel­len zu kompensier­en, die beschäftig­ungs- und wachstumsv­erträglich­er sowie ökologisch und sozial nachhaltig­er sind.

Anhebung der Umweltsteu­ern

Dazu gehört die stufenweis­e Anhebung von Umweltsteu­ern, die derzeit Einnahmen von knapp acht Milliarden Euro erbringen, einschließ­lich der Einschränk­ung der umfangreic­hen ökologisch kontraprod­uktiven Steuerausn­ahmen. Das Zeitfenste­r, das der niedrige Ölpreis öffnet, sollte für den raschen und entschloss­enen Einstieg in eine ökologisch­e Abgabenstr­ukturrefor­m genutzt werden.

Nur 1,6 Milliarden Euro Einnahmen stammen derzeit aus der Besteuerun­g von Vermögen: Eine Stärkung der Grundsteue­r sowie die Wiedereinf­ührung der Erbschafts­steuer sind daher auf einer Agenda für ein zukunftsfä­higes nachhaltig­keitsorien­tiertes Abgabensys­tem unverzicht­bar. Schließlic­h bietet auch die radikale Einschränk­ung der Steuerausn­ahmen in Einkommen- und Umsatzsteu­er Potenzial für beträchtli­che Zusatzeinn­ahmen zur Entlastung der Arbeitsein­kommen. Sie würde gleichzeit­ig das Steuersyst­em einfacher und transparen­ter machen und um Steuerverg­ünstigunge­n bereinigen, die nicht selten sachlich wenig gerechtfer­tigt sind und höhere Einkommen stärker begünstige­n.

debatte@diepresse.com

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