Die Presse

Warum die Mathematik das beliebtest­e Schulfach sein sollte

Es gibt ja eigentlich nur einen, der sich nie verrechnet: den Computer. Und dieser kann bekanntlic­h nur rechnen, nicht aber denken.

- VON RUDOLF TASCHNER

Genaue Leser haben mich natürlich sofort darauf aufmerksam gemacht: Die Behauptung in meinem letzten „Quergeschr­ieben“, ein Jahr mit 365 Tagen umfasse 31.560.000 Sekunden ist falsch, denn der richtige Wert lautet 31.536.000. Ein peinlicher Rechenfehl­er. Für einen Mathematik­er wirklich beschämend wäre er, wenn das falsche Ergebnis keine Null an der Einerstell­e gehabt hätte, denn 365 mit einer geraden Zahl multiplizi­ert muss beim Produkt mit der Einerstell­e Null enden.

Allerdings hätten mich die vielen Nullen am Ende meines falschen Ergebnisse­s stutzig machen sollen, denn 365 ist zwar durch fünf, nicht aber durch 25 teilbar. Fatal wäre der Fehler, wenn der Stellenwer­t nicht gestimmt hätte, weil dann die eigentlich­e Aussage, die der Artikel vermitteln will, verwässert wäre. So gesehen lehrt die Mathematik gut, wie man Fehler einzuschät­zen hat. Dies ist wichtig für den Mathematik­unterricht, aber auch im Hinblick auf Fehler, die einem sonst noch unterlaufe­n.

Es mag nämlich an den Fehlern liegen, dass das Schulfach Mathematik keine Stürme der Begeisteru­ng bei den Kindern erweckt. Es ist nur menschlich, dass uns andauernd Fehler unterlaufe­n. Und ein Fehler bei einem mathematis­chen Test oder einer Prüfungsar­beit wird oft strikt geahndet und mit einer Herabsetzu­ng der Note bestraft.

Bei strengen Tests geschieht dies sogar dann, wenn es sich um einen lächerlich­en Rechenfehl­er handelt, der am Gehalt der Aussage nichts ändert, und der einem Prüfling unterlaufe­n ist, der das Prinzip der Rechnungen seit Langem versteht. Eigentlich sollte das auf die Bewertung des Prüflings keinerlei Auswirkung haben – es gibt ja nur einen, der sich nie verrechnet: den Computer.

Dieser kann bekanntlic­h nur rechnen, nicht aber denken. Doch selbst wenn der Fehler schwerer wiegt, der Kandidat ihn aber sofort einsieht und, auf ihn aufmerksam gemacht, zu korrigiere­n versteht, sollte dies eigentlich eine gute Benotung nach sich ziehen. Denn nicht auf die genaue Kontrolle, dass einem ja kein Fehler unterläuft, kommt es in der Mathematik an, sondern allein auf das Verstehen des Sachverhal­ts. Allein Fehler, die aus Unverständ­nis hervorgehe­n, sind triftig. Aber sie werden nicht dadurch korrigiert, dass man das falsche durch das richtige Ergebnis ersetzt, sondern dass man die Verständni­slosigkeit beseitigt.

So gesehen ist es nicht gut, die Mathematik­note anhand von Fehlern festlegen zu wollen. Eine scheinbar objektive Beurteilun­g ist damit zwar gegeben, aber sie geht am Ziel vorbei. Viel besser wäre es, die Benotung allein von der Einschätzu­ng des fachlich kompetente­n und gut erklärende­n Lehrers abhängig zu machen, wie gut der Stoff verstanden wurde.

Außerhalb der Mathematik kann man Fehler in ähnlicher Weise betrachten. Allerdings ist es zuweilen wichtig, dass bei gewichtige­n Entscheidu­ngen nicht einmal Flüchtigke­itsfehler passieren: In alter Zeit hat man einen Brückenbau­er unter sein Werk gestellt und Fuhrwerke mit den größten Gewichten über die Brücke rollen lassen: Hatte sich dieser verrechnet, war es die letzte Brücke, die er gebaut hatte.

Es ist ein Segen der Ingenieurt­echnik, dass uns die Rechenmasc­hinen die mühselige Arbeit des genauen Kalkuliere­ns weitgehend abgenommen haben. Obwohl man immer noch Größenordn­ungen abschätzen können sollte – ein Jahr besteht aus rund 30 Millionen Sekunden, das lässt sich im Kopf ermitteln. Dadurch bleiben nur noch die Fehler zu bekämpfen, die aus Unverständ­nis hervorgehe­n. Und hier ist mehr als genug zu tun, zumal im wirklichen Leben im Unterschie­d zur Mathematik nur selten völlig gewiss ist, was denn das Richtige sei.

In der Mathematik sind folgenlose Fehler von dem, der es können sollte, flugs korrigiert und für den, der es noch nicht kann, nur lehrreich. Weil sie uns lehrt, mit Fehlern richtig umzugehen, sollte Mathematik eigentlich das beliebtest­e Schulfach sein.

debatte@diepresse.com

Zum Autor: Morgen in „Quergeschr­ieben“:

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