Warum die Mathematik das beliebteste Schulfach sein sollte
Es gibt ja eigentlich nur einen, der sich nie verrechnet: den Computer. Und dieser kann bekanntlich nur rechnen, nicht aber denken.
Genaue Leser haben mich natürlich sofort darauf aufmerksam gemacht: Die Behauptung in meinem letzten „Quergeschrieben“, ein Jahr mit 365 Tagen umfasse 31.560.000 Sekunden ist falsch, denn der richtige Wert lautet 31.536.000. Ein peinlicher Rechenfehler. Für einen Mathematiker wirklich beschämend wäre er, wenn das falsche Ergebnis keine Null an der Einerstelle gehabt hätte, denn 365 mit einer geraden Zahl multipliziert muss beim Produkt mit der Einerstelle Null enden.
Allerdings hätten mich die vielen Nullen am Ende meines falschen Ergebnisses stutzig machen sollen, denn 365 ist zwar durch fünf, nicht aber durch 25 teilbar. Fatal wäre der Fehler, wenn der Stellenwert nicht gestimmt hätte, weil dann die eigentliche Aussage, die der Artikel vermitteln will, verwässert wäre. So gesehen lehrt die Mathematik gut, wie man Fehler einzuschätzen hat. Dies ist wichtig für den Mathematikunterricht, aber auch im Hinblick auf Fehler, die einem sonst noch unterlaufen.
Es mag nämlich an den Fehlern liegen, dass das Schulfach Mathematik keine Stürme der Begeisterung bei den Kindern erweckt. Es ist nur menschlich, dass uns andauernd Fehler unterlaufen. Und ein Fehler bei einem mathematischen Test oder einer Prüfungsarbeit wird oft strikt geahndet und mit einer Herabsetzung der Note bestraft.
Bei strengen Tests geschieht dies sogar dann, wenn es sich um einen lächerlichen Rechenfehler handelt, der am Gehalt der Aussage nichts ändert, und der einem Prüfling unterlaufen ist, der das Prinzip der Rechnungen seit Langem versteht. Eigentlich sollte das auf die Bewertung des Prüflings keinerlei Auswirkung haben – es gibt ja nur einen, der sich nie verrechnet: den Computer.
Dieser kann bekanntlich nur rechnen, nicht aber denken. Doch selbst wenn der Fehler schwerer wiegt, der Kandidat ihn aber sofort einsieht und, auf ihn aufmerksam gemacht, zu korrigieren versteht, sollte dies eigentlich eine gute Benotung nach sich ziehen. Denn nicht auf die genaue Kontrolle, dass einem ja kein Fehler unterläuft, kommt es in der Mathematik an, sondern allein auf das Verstehen des Sachverhalts. Allein Fehler, die aus Unverständnis hervorgehen, sind triftig. Aber sie werden nicht dadurch korrigiert, dass man das falsche durch das richtige Ergebnis ersetzt, sondern dass man die Verständnislosigkeit beseitigt.
So gesehen ist es nicht gut, die Mathematiknote anhand von Fehlern festlegen zu wollen. Eine scheinbar objektive Beurteilung ist damit zwar gegeben, aber sie geht am Ziel vorbei. Viel besser wäre es, die Benotung allein von der Einschätzung des fachlich kompetenten und gut erklärenden Lehrers abhängig zu machen, wie gut der Stoff verstanden wurde.
Außerhalb der Mathematik kann man Fehler in ähnlicher Weise betrachten. Allerdings ist es zuweilen wichtig, dass bei gewichtigen Entscheidungen nicht einmal Flüchtigkeitsfehler passieren: In alter Zeit hat man einen Brückenbauer unter sein Werk gestellt und Fuhrwerke mit den größten Gewichten über die Brücke rollen lassen: Hatte sich dieser verrechnet, war es die letzte Brücke, die er gebaut hatte.
Es ist ein Segen der Ingenieurtechnik, dass uns die Rechenmaschinen die mühselige Arbeit des genauen Kalkulierens weitgehend abgenommen haben. Obwohl man immer noch Größenordnungen abschätzen können sollte – ein Jahr besteht aus rund 30 Millionen Sekunden, das lässt sich im Kopf ermitteln. Dadurch bleiben nur noch die Fehler zu bekämpfen, die aus Unverständnis hervorgehen. Und hier ist mehr als genug zu tun, zumal im wirklichen Leben im Unterschied zur Mathematik nur selten völlig gewiss ist, was denn das Richtige sei.
In der Mathematik sind folgenlose Fehler von dem, der es können sollte, flugs korrigiert und für den, der es noch nicht kann, nur lehrreich. Weil sie uns lehrt, mit Fehlern richtig umzugehen, sollte Mathematik eigentlich das beliebteste Schulfach sein.
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Zum Autor: Morgen in „Quergeschrieben“: