Die Presse

David Bowie, ganz in Schwarz

Neues Album. David Bowie hat immer gern Rückkehrer gespielt: Diesmal ist er Lazarus – auf einem der sieben Stücke von „Blackstar“. Ein harsches, spannendes, stellenwei­se bitteres Spätwerk, das eines dezidiert nicht sein soll: Rock ’n’ Roll.

- VON THOMAS KRAMAR

„Blackstar2 heißt sein 25. Studioal\um, das am 8. Jänner erscheint: Ein harsches, auch \itteres Werk.

Das Ziel war es, in vielerlei Hinsicht, Rock ’n’ Roll zu vermeiden“, sagt Tony Visconti, der David Bowie seit 1969 als Produzent begleitet. Ein schönes Ziel: Bowie und Visconti ist es immer wieder geglückt, das zu vermeiden, was sie an Rock ’n’ Roll hassen, das Bier, die Burger, die Brüderhord­en, das dumpfe Pathos, die dummen Posen. Die Bowie auch dann nicht einnahm, wenn er – in Abwesenhei­t Viscontis – apokalypti­sche Rock’n’Roll-Idole verkörpert­e, den Aladdin Sane oder den Ziggy Stardust, aber das ist eine andere Geschichte.

Oder doch nicht? Ziggy Stardust irrte am Ende als „Rock ’n’ Roll Suicide“durch die Straßen, ein gefallener Starman, den nur mehr höhnische Stimmen priesen. Ähnlich kam Major Tom, der in „Space Oddity“(1969) verloren gegangene Raumfahrer, elf Jahre später zerstört zurück, in „Ashes to Ashes“. „We know Major Tom’s a junkie“, sang Bowie, mit dieser verstörend­en Stimme, die klingt, wie sein starres linkes Auge blickt: fremd, entfremdet, außerirdis­ch – man verzeihe das Klischee, aber es hat seine Berechtigu­ng: Wer nicht glaubt, dass diese Assoziatio­n ganz speziell auf Bowie passt, soll sich einmal Jagger, McCartney oder Bono als Alien vorstellen. Das geht nicht? Eben.

Jazz, kalt oder heiß, nie lauwarm

Nun kommt ein weiterer Rückkehrer, Lazarus. So heißt ein Song auf „Blackstar“, so heißt auch ein von David Bowie mitverfass­tes Musiktheat­er, das derzeit am New York Theatre Workshop läuft. Im Zentrum des Stücks, das Kritiker euphorisch als verwirrend schildern, steht der im Film „The Man Who Fell to Earth“(1976) von Bowie gespielte Alien Thomas Jerome Newton, den es einst auf der Suche nach Wasser auf die Erde verschlage­n hat. Gescheiter­t am Bau einer Rakete, die ihn heimbringe­n sollte, lebt er jetzt in einsamer Depression, sieht fern und trinkt Gin.

„Look up here, I’m in heaven, I’ve got scars that can’t be seen“, singt Bowie in „Lazarus“mit großem Gestus, einbegleit­et u. a. von einem tieftrauri­gen Bläsersatz, dem auf jeden Klageruf ein völlig verzerrtes Echo antwortet. Frostiger Jazz.

Vom Jazz holt sich Bowie wieder einmal Abstraktio­n und Kälte, sie helfen ihm, den Biedersinn des Rock ’n’ Roll zu vermeiden. Sein Jazz ist nicht gemütlich, nicht groovy oder funky, sondern harsch und spröde, mit- unter auch heiß, hysterisch – im zornigen, von einem Betondschu­ngelbeat gejagten „’Tis a Pity She Was a Whore“etwa –, aber nie lau. Dabei hat Bowie die tatsächlic­h an Ornette Colemans Pionierwer­k „Free Jazz“erinnernde­n Exerzitien, die den auf dem Sampler „Nothing Has Changed“erschienen­en Mördersong „Sue (Or in a Season of Crime)“beherrscht­en, für die neue Version deutlich gedrosselt. Vielleicht, weil auch der wildeste Aufbruch von gestern eben nach gestern, nach Nostalgie klingt. Und Nostalgie kann Bowie derzeit gar nicht ertragen, ein- schlägige Gefühle hat er wohl 2013 mit der Berlin-Ballade „Where Are We Now“erledigt, in der er bedächtig die alten Wege der Mauerstadt ging. Fassbare Erinnerung­en, konzise Geschichte­n sucht man vergeblich auf „Blackstar“, auf dessen Cover die Texte schwarz auf schwarz gedruckt sind, illustrier­t mit grafischen Varianten des schwarzen Sterns und einem Bild der Pioneer-Plakette, die die Menschheit ins Weltall schickte, 1972, als sie noch an dieses glaubte.

Woran kann man heute noch glauben? Postmodern­e Seligkeit? Retrofutur­ismus? Aber woher denn! Nicht mit David Bowie. Schon die Schreckens­visionen des Titelstück­s bleiben rätselhaft: Was der norwegisch­e Ortsname Ormen sagt, wofür die einsame Kerze steht, weiß höchstens Bowie selbst, und er gibt keine Auskünfte. Im mit überschnap­pender Stimme gesungenen „Girl Loves Me“verwendet er eine Version des bis in die Siebzigerj­ahre in der Homosexuel­lenszene verwendete­n Soziolekts Polari, sagen Kenner, dazu streut er Namen wie Rozz-Shop (ein Kleiderges­chäft in Stockholm) oder Vellocet (ein Getränk in „Clockwork Orange“).

Und überall irrlichter­t das Saxofon

Im bitteren „Dollar Days“sichtet er „cash girls“und „oligarchs with foaming mouths“und endet mit einem nicht ausgesproc­henen Vorsatz – „I’m trying to, I’m dying to“–, dann führt ein maschinell­er Breakbeat in die abschließe­nde Ballade „I Can’t Give Everything Away“, und wieder ist da ein irrlichter­ndes Saxofon. Man wollte dieses Instrument im Pop schon nicht mehr hören, weil es in den frühen Achtzigerj­ahren gar so penetrant nach Hipness klang, doch für Bowie, der selbst Saxofon gelernt hatte, blieb es über die Jahrzehnte das Ausdrucksm­ittel. Die elektrisch­e Gitarre, die Bowie in seinen wenigen nicht so souveränen Phasen (Tin Machine!) gern hat rauchen lassen, spielt auf „Blackstar“eine Nebenrolle. So muss das auch sein, wenn man den Rock ’n’ Roll vermeiden will.

Am Ende bleibt ein Abschied: „Seeing more and feeling less, saying no but meaning yes, this is all I ever meant, that’s the message that I sent“, resümiert Bowie, die Mundharmon­ika spielt ein Lied vom Tod, dann fleht er nur mehr: „I can’t give everything away.“Der Mann, der auf die Erde gefallen ist, will die Welt nicht fallen lassen, will nicht aus der Welt fallen. So ernst klingt das Alterswerk eines großen Moderniste­n.

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 ?? [ Sony/Jimmy King ] ?? „I’ve got scars that can’t be seen“– David Bowie, ab morgen 69, mit seinem typischen „kalten“Blick, dessen Eindruck dadurch verstärkt wird, dass Bowie 1962 bei einer Schlägerei die Augenmusku­latur verletzt wurde.
[ Sony/Jimmy King ] „I’ve got scars that can’t be seen“– David Bowie, ab morgen 69, mit seinem typischen „kalten“Blick, dessen Eindruck dadurch verstärkt wird, dass Bowie 1962 bei einer Schlägerei die Augenmusku­latur verletzt wurde.

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