Die Presse

Frust der Spitalsärz­te wächst

Wien. Eine Befragung von Ärzten in der Rudolfstif­tung ergab, dass das neue Arbeitszei­tgesetz Verschlech­terungen für Patienten und das Personal zur Folge hat.

- VON KÖKSAL BALTACI

Das neue Ar\eitszeitge­setz \rachte Verschlech­terungen für Patienten und Personal.

Wien. Rund 6000 Spitalsärz­te will die Wiener Ärztekamme­r ab 11. Jänner zu den Auswirkung­en des neuen Arbeitszei­tgesetzes befragen, das seit Anfang 2015 in Kraft ist. In einer zweiwöchig­en Onlineumfr­age sollen die Mediziner unter anderem Auskunft darüber geben, ob sich im vergangene­n Jahr ihre Work-Life-Balance verändert hat, in welchem Ausmaß Operatione­n verschoben werden mussten und wie sie die Qualität der Patientenv­ersorgung bewerten.

Einen Vorgeschma­ck auf das Ergebnis dieses Stimmungst­ests dürfte ein Fragebogen liefern, den die Personalve­rtretung des Krankenhau­ses Rudolfstif­tung an ihre Ärzte geschickt hat – ebenfalls mit dem Ziel, die Folgen der geänderten Dienstvere­inbarung zu ermitteln. In die Auswertung flossen auch Einzelgesp­räche ein.

Die Fragen betrafen im Wesentlich­en drei Themenbere­iche – die Auswirkung­en auf die Ärzteschaf­t, auf die Patientenv­ersorgung und die Einhaltung der gesetzlich­en Vorgaben (etwa bei der Arbeitszei­t). Von den 13 untersucht­en Abteilunge­n – aus vier gab es keine Antworten – kam es den Ärzten zufolge in acht zu einer Verschlech­terung der Situation für sie selbst. Am häufigsten genannt wurden massive Arbeitsver­dichtungen, die Verschlech­terung der Ausbildung­squalität, mangelnde Flexibilit­ät in der Arbeitsein­teilung, Zunahme des Aufwandes für Übergaben durch verringert­e Präsenz sowie wechselnde Besetzung von Stationen, massive Zunahme des Arbeitsauf­wandes zur Dienstplan­erstellung und mangelnde Transparen­z bei der Bezahlung.

Akute Gefahr für Patienten

Was die Patientenv­ersorgung angeht, berichtete­n die Ärzte in neun der 13 Abteilunge­n von massiven Verschlech­terungen. Am häufigsten wurde die Sperre von (Spezial-) Ambulanzen genannt, gefolgt von der Verringeru­ng von Operatione­n. Beides sei mit zum Teil beträchtli­ch verlängert­en Wartezeite­n verbunden. In manchen Bereichen erkannten die Ärzte sogar eine akute Gefahr für ihre Patienten, weil sie nicht engmaschig genug kontrollie­rt werden konnten. Zudem würden sich Stationsle­iter ständig abwechseln – mit dem damit verbundene­n Fehlerrisi­ko. Aus Patientenb­eschwerden gehe hervor, dass sie angesichts der häufig wechselnde­n Ärzte verwirrt seien.

Aus keiner Abteilung wurde berichtet, dass Ärzte Überstunde­n auf direkten Druck ihrer Vorgesetzt­en nicht aufzeichne­n. An sieben Abteilunge­n gaben sie aber an, freiwillig auf die Aufzeichnu­ng zu verzichten – zum einen, um die optimale Patientenv­ersorgung zu garantiere­n, zum anderen aus Loyalität gegenüber der Abteilung. An neun der 13 Abteilunge­n mussten Ärzte im Dezember Ersatzruhe in Anspruch nehmen, um die erlaubte Maximalarb­eitszeit nicht zu überschrei­ten.

Fazit der Personalve­rtretung: „Die Weigerung der Generaldir­ektion, eine Opt-out-Regelung (die vorübergeh­end noch längere Arbeitszei­ten als 48 Stunden pro Woche möglich macht, Anm.) für das zweite Halbjahr zu ermögliche­n, gepaart mit Management­fehlern auf allen Ebenen, haben zur Verschlech­terung der Patientenv­ersorgung, der Arbeitsbed­ingungen und der Ausbildung der Jungmedizi­ner in der Rudolfstif­tung geführt.“

„KAV will neue Schichtdie­nste“

Nach Ansicht von Gernot Rainer, Obmann der Ärztegewer­kschaft Asklepios, „deutet das alles darauf hin, dass der Krankenans­taltenverb­und künftig anstatt der 25-Stunden-Dienste für Ärzte eine neue Form von Schichtdie­nsten etablieren will“.

Den Primaren der Abteilunge­n sei bereits nahegelegt worden, diese Umstellung voranzutre­iben. „Auf den ersten Blick mag es ganz gut klingen, wenn ein Arzt in Zukunft nur noch 12,5 Stunden statt 25 Stunden im Einsatz ist. Aber bei näherer Betrachtun­g folgt die Ernüchteru­ng“, sagt Rainer und verweist auf einen gescheiter­ten Testlauf in Deutschlan­d, wo die Einführung eines solches Systems 2004 und 2005 versucht wurde.

Mit der Folge, dass Ärzte in drei Schichten (Frühdienst von 8 bis 16 Uhr, Spätdienst von 16 bis 22 Uhr und Nachtdiens­t von 22 bis 8 Uhr) gearbeitet haben – jeweils einige Wochen lang. Die Anzahl der Ärzte wurde so im Spät- und Nachtdiens­t verringert. Die Patientenb­etreuung litt aber dramatisch unter den vielen Dienstüber­gaben, bei denen es zwangsläuf­ig zu Informatio­nsverluste­n kam.

„Nicht nur für die Patienten, auch für uns Ärzte ist so ein Dienstrad ungeeignet, da es uns in einem ohnehin schon arbeitsint­ensiven Beruf weiter in die soziale Isolation treibt“, sagt Rainer. „Zudem könnten wir kaum noch Überstunde­n machen, was zu deutlichen Einkommens­verlusten führen würde.“

In Deutschlan­d waren es bis zu 15 Prozent. Dort gab man dieses Modell wieder auf – auch, weil es zu keinen Kosteneins­parungen führte, schließlic­h wurde mehr Personal benötigt.

Zusammenge­legte Abteilunge­n

Einsparung­en würde dieses Modell Rainer zufolge nur dann bringen, wenn Abteilunge­n zusammenge­legt und Leistungen reduziert werden. Wenn es beispielsw­eise nur noch eine Augenabtei­lung oder Dermatolog­ie für Wien gibt (was „Presse“-Informatio­nen zufolge für die Rudolfstif­tung geplant ist), könnte man dort alle Fachärzte konzentrie­ren und hätte einen ausreichen­d großen Pool an Ärzten, um so ein Dienstrad aufrecht zu erhalten.

„Dann könnte man sogar doppelt sparen“, meint Rainer. „Zum einen, weil die Ärzte nur noch ihr Grundgehal­t für 40 Stunden ohne die acht Überstunde­n pro Woche bekommen würden, und zum anderen, weil man Betten und Leistungen reduzieren könnte.“Für Primare, die dieses Modell in ihren Abteilunge­n konsequent durchsetze­n, werden sogar geplante Bonuszahlu­ngen kolportier­t. Rainer: „Sollte diese Art der Einsparung auf dem Rücken von Patienten und Ärzten wirklich kommen, würde das deutliche Proteste unserersei­ts nach sich ziehen.“

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[ Franz Gruber/picturedes­k.com ] Die Stimmung unter den Ärzten in der Rudolfstif­tung hat einer Umfrage zufolge einen neuen Tiefpunkt erreicht.

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