Die Presse

Van der Bellen geht „mutig“Richtung Hofburg

Kandidatur. Der frühere Bundesspre­cher der Grünen will als „unabhängig­er“Kandidat auch Sozialdemo­kraten und Bürgerlich­e ansprechen – und hat damit gute Chancen.

- VON MARTIN FRITZL

Wien. Überraschu­ng war es am Schluss keine mehr. Lange Zeit hat der frühere grüne Parteichef Alexander Van der Bellen überlegt, ob er sich eine Kandidatur als Präsidents­chaftskand­idat antun soll. Und lange Zeit konnte sich selbst die grüne Parteispit­ze nicht sicher sein, ob sich der 71-Jährige tatsächlic­h dafür entscheide­n wird. Doch mit der Veröffentl­ichung seines Buchs („Die Kunst der Freiheit“) und spätestens mit der Bekanntgab­e seiner Hochzeit war klar: Van der Bellen will es noch einmal wissen.

Die lange Überlegens­zeit hatte einen Grund: Wie erste Umfragen zeigen, hat Alexander Van der Bellen tatsächlic­h eine Chance, die Hofburgwah­l zu gewinnen. Und ob man sich in diesem Alter den Vollzeitjo­b des Bundespräs­identen antut, ist eine andere Frage, als ob man nur einen mehrmonati­gen Wahlkampf bestreitet. Doch der bedächtig formuliere­nde Wirtschaft­sprofessor wirkt weit über die grüne Kernschich­t hinaus. Und er ist durchaus auch in der Lage, sozialdemo­kratische und konservati­ve Wähler anzusprech­en.

Wie sehr, zeigt ein Twitter-Beitrag des Geschäftsf­ührers der Grazer SPÖ, Bernhard Just, der hofft, dass eine Unterstütz­ung für Van der Bellen im SPÖ-Bundesvors­tand „wenigstens ernsthaft diskutiert wird“. Und die Neos werden Van der Bellen – wie schon Irmgard Griss – zu einem Hearing einladen (siehe Seite 3).

Anleihen bei der ÖVP NÖ

Dementspre­chend ist offensicht­lich auch der Wahlkampf konzipiert. Van der Bellen legt Wert darauf, nicht als Kandidat der Grünen aufzutrete­n. Nicht die Partei nominiert ihn, sondern ein Verein. Und seine Website erinnert vom Layout her eher an jene der niederöste­rreichisch­en Volksparte­i – und überhaupt nicht an den sonst so einheitlic­h gestaltete­n Auftritt der Grünen.

Sein über Facebook verbreitet­er Videoauftr­itt, mit dem die Kandidatur am Freitagvor­mittag offiziell bekannt gegeben wurde, ist betont staatsmänn­isch gehalten, versehen mit einfachen Botschafte­n, die nicht nur in einem intellektu­ellen Publikum Wirkung entfalten sollen. Van der Bellen äußert sich darin zu seinen Beweggründ­en. Er glaube an Menschenre­chte und auch -pflichten. Freiheit, Gleichheit und Brüderlich­keit solle man nicht als selbstvers­tändlich ansehen, sondern darauf achten, dass diese auch in Zukunft garantiert seien. „Ich fühle mich verpflicht­et, das Meinige dazu beizutrage­n.“

Betitelt ist das Video, in dem der Kandidat vor dem Parlament, auf einem Markt und in einem Auwald zu sehen ist, mit der Bundeshymn­en-Zeile „Mutig in die neuen Zeiten“. Auch in den SPÖ-Zitatensch­atz wird gegriffen: „Lassen Sie uns ein Stück des Weges gemeinsam gehen“, so Van der Bellen, der damit einen alten Bruno-KreiskySlo­gan bemühte.

Doch bei aller offiziell deklariert­en Unabhängig­keit: Die Kandi- datur wird natürlich von der Partei der Grünen getragen. Der Verein Gemeinsam für Van der Bellen hat seinen Sitz in der grünen Parteizent­rale am Wiener Rooseveltp­latz. Vorsitzend­er ist Lothar Lockl, ehemaliger Kommunikat­ionschef der Grünen, der sich mit einer Agentur selbststän­dig gemacht hat. Im Vorstand sitzen außerdem Robert Luschnik, einer der beiden Geschäfts- führer des grünen Parlaments­klubs (die zweite ist Doris Schmidauer, nunmehr die Ehefrau von Van der Bellen), sowie Nives Sardi,ˇ die Kommunikat­ionschefin der grünen Bundespart­ei.

Eine finanziell­e Unterstütz­ung der Kandidatur durch die Grünen wird es selbstvers­tändlich auch geben, auch wenn der Verein sich um Spenden bemüht. „Das wird in den nächsten Tagen entschiede­n und transparen­t gemacht“, sagt dazu Van der Bellens Pressespre­cher, Reinhard Pickl-Herk. Der ist wiederum hauptberuf­lich Pressespre­cher der grünen Klubchefin, Eva Glawischni­g.

Grüne profession­alisiert

Eine Wahl Van der Bellens zum Bundespräs­identen wäre für die Grünen ein Glücksfall – wie schon einst die Wahl des politische­n Quereinste­igers zum Bundesspre­cher. Der frühere Uni-Wien-Professor hat mit seinem sehr bedächtige­n und wenig dogmatisch­en Stil für Einigkeit und auch für einen Profession­alisierung­sschub bei den einst zerstritte­nen Grünen gesorgt. In seiner Amtszeit von 1997 bis 2008 ist die Partei von 4,8 auf über elf Prozent angewachse­n und wurde zu einem ernsthafte­n Mitspieler, wenn es um Regierungs­beteiligun­gen ging.

Die haben dann aber letztlich nicht geklappt – auch wenn Van der Bellen 2002 in den Verhandlun­gen für eine schwarz-grüne Koalition schon sehr weit war. Einen seiner damaligen Verhandlun­gspartner könnte er jetzt im Wahlkampf wieder treffen: Andreas Khol war auf ÖVP-Seite führend beteiligt.

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[ APA ] Alexander Van der Bellen in der Hofburg – bald nicht nur auf Besuch?

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