Argentiniens große „Macri-ökonomische“Kehrtwende
Zwischenbilanz. Wie der neue Präsident, Mauricio Macri, mit der Ära Kirchner aufräumt.
Buenos Aires. Es war ein Federstrich. Für 2035 Angestellte des Senats endete am 30. Dezember ihr vorläufiges Arbeitsverhältnis, ehe sich daraus im neuen Jahr eine Festanstellung ergeben hätte. Was die Gekündigten und auch einige Gewerkschaftsvertreter als „politische Säuberung“denunzierten, präsentiert Argentiniens neue Regierung als Nothilfe nach den Exzessen der zwölfeinhalbjährigen Ära Kirchner. Von 3000 auf 7000 Beschäftigte war der Personalstand des Senats seit 2011 angeschwollen. Allein im vergangenen Jahr wurden eben jene 2035 Personen neu eingestellt, viele davon in hohen und höchsten Gehaltsgruppen. Über 25.000 neue Stellen schuf die Kirchner-Regierung in ihren letzten Monaten.
200.000 von vier Millionen öffentlichen Angestellten erscheinen nie am Arbeitsplatz, der ihren Lohn bezahlt, schätzt die Unternehmensberatung KPMG. Sie sind meistens Verwandte oder Amigos aktueller oder ehemaliger Mächtiger, viele aufgrund systematischer Schlamperei in die „planta permanente“gerutscht, das entspricht etwa dem österreichischen Beamtenstand.
Neue Finanzpolitik
„Wir können uns das nicht mehr leisten“, argumentierte Gabriela Micchetti, die neue Vizepräsidentin, zu deren Aufgaben auch die Leitung des Senats gehört. „Wir müssen aufhören mit dem Irrsinn!“
Dieser Satz könnte die Überschrift sein für die erste Monatsbilanz der neuen argentinischen Regierung. Seit seinem Amtsantritt am 10. Dezember hat Mauricio Macri Steuern für Geringverdiener gestrichen, Exportzölle auf Agrar- und Industrieprodukte weitgehend abgeschafft, die Währung abgewertet, die Devisenkontrollen beendet, Importschranken geschleift, zwei Richter für den obersten Gerichtshof nominiert, die staatliche Medienkontrollbehörde geschlossen, Straßenblockaden per Wasserwerfer räumen lassen. Seine Minister erklärten den Statistiknotstand, den Energienotstand und den Sicherheitsnotstand. Und Macri war der erste südamerikanische Staatschef, der Venezuelas Regierung offen wegen deren Menschenrechtsverletzungen attackierte.
„Perfekte Abwertung“
Das kühnste Manöver war bisher das jähe Ende der Währungskontrollen. Im „microcentro“, dem engen Finanzviertel, war kalkuliert worden, dass Zentralbankchef Federico Sturzenegger und Finanzminister Alfonso Prat-Gay vor Mitte Jänner nicht genug Devisen würden zusammenbetteln können, um freie Dollarverkäufe abzusichern. Der Dollar landete unter dem Schwarzmarktwert. Bis heute stieg die USWährung um 40 Prozent, ohne Exzesse. „Eine perfekt inszenierte Abwertung“, applaudierten die Analysten von Barclays.
Nun rechnen die meisten Kommentatoren damit, dass die Regierung den Dollar so niedrig wie möglich halten werde, zumindest bis zu den Lohnverhandlungen im März und April. Schon vor Macris Amtsantritt stiegen die Preise um 30 bis 40 Prozent, nun zogen andere nach. Die Regierung will einen Pakt mit Unternehmern und Gewerkschaften schmieden. Aber: Nach vier Jahren ohne Wachstum sind die Reallöhne rückläufig. Und die Unternehmer möchten endlich wieder Profite machen. Alle Analysten sind sich einig: Die Lohnrunde wird zur Bewährungsprobe Macris.
Der will bis dahin Fakten schaffen. Sein Werkzeug sind vor allem Notdekrete, Instrumente, die in der Verfassung für Ausnahmesituationen vorgesehen sind – und die Vorgängerin Kirchner hundertfach nutzte. Dass er in dieser Manier zwei fachlich wohl untadelige Juristen am Parlament vorbei ins Höchstgericht schicken wollte, löste einen Aufschrei aus – auch bei den Koalitionspartnern. Als Macri per Dekret die gesetzeswidrig von Kirchner-Vertrauten durchsetzte Medienbehörde auflösen ließ, blieb es in seiner Koalition ruhig. Nun sind es vor allem die treuen Anhänger der Ex-Präsidentin, die zur „Resistencia“trommeln, weil Macris Mannschaft sie auch aus Kulturzentren und Staatsmedien entlässt.
Wenngleich Macri auch vehement den Besen schwingt, wird er sich wohl die Schaufel ausleihen müssen, um nachhaltig zusammenzukehren. Denn alle Dekrete müssen nachträglich durch das Parlament – und dort fehlen ihm die Mehrheiten in beiden Kammern. Er muss sich Hilfe suchen, auch im zersplitterten peronistischen Lager.
Cristina Kirchner, die die Amtsübergabe schwänzte und in ihre patagonische Villa flog, verbringt ihre Tage derweil am Telefon, um die Reihen ihrer Partei zu schließen. Nur ein Viertel der peronistischen Abgeordneten sind wasserdichte „Kirchneristas“. Im März, wenn die Lohnrunde beginnt, will sie nach Buenos Aires zurückkommen.