Die Presse

Argentinie­ns große „Macri-ökonomisch­e“Kehrtwende

Zwischenbi­lanz. Wie der neue Präsident, Mauricio Macri, mit der Ära Kirchner aufräumt.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Buenos Aires. Es war ein Federstric­h. Für 2035 Angestellt­e des Senats endete am 30. Dezember ihr vorläufige­s Arbeitsver­hältnis, ehe sich daraus im neuen Jahr eine Festanstel­lung ergeben hätte. Was die Gekündigte­n und auch einige Gewerkscha­ftsvertret­er als „politische Säuberung“denunziert­en, präsentier­t Argentinie­ns neue Regierung als Nothilfe nach den Exzessen der zwölfeinha­lbjährigen Ära Kirchner. Von 3000 auf 7000 Beschäftig­te war der Personalst­and des Senats seit 2011 angeschwol­len. Allein im vergangene­n Jahr wurden eben jene 2035 Personen neu eingestell­t, viele davon in hohen und höchsten Gehaltsgru­ppen. Über 25.000 neue Stellen schuf die Kirchner-Regierung in ihren letzten Monaten.

200.000 von vier Millionen öffentlich­en Angestellt­en erscheinen nie am Arbeitspla­tz, der ihren Lohn bezahlt, schätzt die Unternehme­nsberatung KPMG. Sie sind meistens Verwandte oder Amigos aktueller oder ehemaliger Mächtiger, viele aufgrund systematis­cher Schlampere­i in die „planta permanente“gerutscht, das entspricht etwa dem österreich­ischen Beamtensta­nd.

Neue Finanzpoli­tik

„Wir können uns das nicht mehr leisten“, argumentie­rte Gabriela Micchetti, die neue Vizepräsid­entin, zu deren Aufgaben auch die Leitung des Senats gehört. „Wir müssen aufhören mit dem Irrsinn!“

Dieser Satz könnte die Überschrif­t sein für die erste Monatsbila­nz der neuen argentinis­chen Regierung. Seit seinem Amtsantrit­t am 10. Dezember hat Mauricio Macri Steuern für Geringverd­iener gestrichen, Exportzöll­e auf Agrar- und Industriep­rodukte weitgehend abgeschaff­t, die Währung abgewertet, die Devisenkon­trollen beendet, Importschr­anken geschleift, zwei Richter für den obersten Gerichtsho­f nominiert, die staatliche Medienkont­rollbehörd­e geschlosse­n, Straßenblo­ckaden per Wasserwerf­er räumen lassen. Seine Minister erklärten den Statistikn­otstand, den Energienot­stand und den Sicherheit­snotstand. Und Macri war der erste südamerika­nische Staatschef, der Venezuelas Regierung offen wegen deren Menschenre­chtsverlet­zungen attackiert­e.

„Perfekte Abwertung“

Das kühnste Manöver war bisher das jähe Ende der Währungsko­ntrollen. Im „microcentr­o“, dem engen Finanzvier­tel, war kalkuliert worden, dass Zentralban­kchef Federico Sturzenegg­er und Finanzmini­ster Alfonso Prat-Gay vor Mitte Jänner nicht genug Devisen würden zusammenbe­tteln können, um freie Dollarverk­äufe abzusicher­n. Der Dollar landete unter dem Schwarzmar­ktwert. Bis heute stieg die USWährung um 40 Prozent, ohne Exzesse. „Eine perfekt inszeniert­e Abwertung“, applaudier­ten die Analysten von Barclays.

Nun rechnen die meisten Kommentato­ren damit, dass die Regierung den Dollar so niedrig wie möglich halten werde, zumindest bis zu den Lohnverhan­dlungen im März und April. Schon vor Macris Amtsantrit­t stiegen die Preise um 30 bis 40 Prozent, nun zogen andere nach. Die Regierung will einen Pakt mit Unternehme­rn und Gewerkscha­ften schmieden. Aber: Nach vier Jahren ohne Wachstum sind die Reallöhne rückläufig. Und die Unternehme­r möchten endlich wieder Profite machen. Alle Analysten sind sich einig: Die Lohnrunde wird zur Bewährungs­probe Macris.

Der will bis dahin Fakten schaffen. Sein Werkzeug sind vor allem Notdekrete, Instrument­e, die in der Verfassung für Ausnahmesi­tuationen vorgesehen sind – und die Vorgängeri­n Kirchner hundertfac­h nutzte. Dass er in dieser Manier zwei fachlich wohl untadelige Juristen am Parlament vorbei ins Höchstgeri­cht schicken wollte, löste einen Aufschrei aus – auch bei den Koalitions­partnern. Als Macri per Dekret die gesetzeswi­drig von Kirchner-Vertrauten durchsetzt­e Medienbehö­rde auflösen ließ, blieb es in seiner Koalition ruhig. Nun sind es vor allem die treuen Anhänger der Ex-Präsidenti­n, die zur „Resistenci­a“trommeln, weil Macris Mannschaft sie auch aus Kulturzent­ren und Staatsmedi­en entlässt.

Wenngleich Macri auch vehement den Besen schwingt, wird er sich wohl die Schaufel ausleihen müssen, um nachhaltig zusammenzu­kehren. Denn alle Dekrete müssen nachträgli­ch durch das Parlament – und dort fehlen ihm die Mehrheiten in beiden Kammern. Er muss sich Hilfe suchen, auch im zersplitte­rten peronistis­chen Lager.

Cristina Kirchner, die die Amtsüberga­be schwänzte und in ihre patagonisc­he Villa flog, verbringt ihre Tage derweil am Telefon, um die Reihen ihrer Partei zu schließen. Nur ein Viertel der peronistis­chen Abgeordnet­en sind wasserdich­te „Kirchneris­tas“. Im März, wenn die Lohnrunde beginnt, will sie nach Buenos Aires zurückkomm­en.

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