„Die Mitgliedstaaten machen es kaputt“
Filmkritik. Der Dokumentarfilm „Democracy – im Rausch der Daten“zeigt, wie in Brüssel der Schutz personenbezogener Daten zwischen Politik und Lobbyisten zerrieben wird.
Wien/Brüssel. Wie fern ist Brüssel von ganz alltäglichen Themen, die jeden Menschen betreffen? Gar nicht so fern. Das belegt ein neuer Dokumentarfilm von David Bernet, der Mitte Jänner in die österreichischen Kinos kommt. „Democracy – im Rausch der Daten“zeigt den erbitterten politischen Kampf um eine neue EU-Datenschutzverordnung.
Erstmals durfte bei einem so heiklen Gesetzgebungsprozess hinter die Brüsseler Kulissen geblickt werden. Das Filmteam begleitete den grünen Europaabgeordneten Jan Philipp Albrecht, der als zuständiger Berichterstatter einen strengeren Schutz für personenbezogene Daten im Europäischen Parlament durchzusetzen versuchte. Die zweite Hauptrolle spielt die ehemalige Justizkommissarin Viviane Reding, die vonseiten der Kommission für das gleiche Ziel kämpfte.
Spannend aufbereitet und für jeden Zuseher nachvollziehbar wird deutlich, wie idealistische Ansätze in der europäischen Politik in den Mühlen zwischen Lobbyisten und Mitgliedstaaten zermahlen werden. Es werden Treffen zwischen Abgeordneten und Vertretern der amerikanischen Internetunternehmen filmisch begleitet, aber auch die zähen Verhandlungen unter den zuständigen 28 nationalen Justizministern.
Gegen nationale Interessen
Es ist ein Film geworden, der die positiven wie die negativen Aspekte der Demokratie auf europäischer Ebene ans Licht bringt. Und er macht verständlich, warum in Brüssel längst anders gedacht wird als in den 28 EU-Hauptstädten. Nachdem im März 2014 im Europaparlament eine Einigung über die Datenschutzverordnung erzielt wurde und die meisten politischen Gruppen an einem Strang zogen, versuchten die Regierungsvertreter, den Kompromiss wieder aufzulösen. Einige der Mitgliedstaaten – allen voran Irland – profitieren stark von ansässigen Internetkonzernen. Die Einschränkungen, die diese Verordnung etwa für den Handel mit User-Daten bringt, hielten sie für einen Angriff auf ihr nationales Geschäftsmodell.
EU-Kommissarin Reding spricht diese Differenz im Film of- fen aus. „Jetzt werden die Mitgliedstaaten alles wieder kaputt machen.“Die Dokumentation offenbart die Denkweise von Europaabgeordneten, von denen immerhin einige gesamteuropäische Lösungsansätze verfolgen, die ein Verständnis für notwendige Kompromisse entwickelt haben. Sie zeigt aber auch auf, wie sich nationale Minister einzig und allein dem innenpolitischen Dauerwahlkampf verpflichtet fühlen.
Wer die EU verstehen will, sollte diesen Film sehen. Er öffnet die Augen für die Vorgänge in Brüssel, aber verschiebt auch die Perspektive weg von rein nationalstaatlichen Interessen.
Über die Datenschutzverordnung, um die es in dem Dokumentarfilm geht, ist mittlerweile eine Einigung zwischen EU-Parlament und Rat (Vertreter der Mitgliedstaaten) erzielt worden. Die Verordnung wurde noch geringfügig – etwa hinsichtlich der Strafen bei Fehlverhalten – verwässert. In Kernbereichen, wie dem „Recht auf Vergessenwerden“, also der Möglichkeit, persönliche Daten von Internetunternehmen zurückzuziehen, bringt sie für Konsumenten eine deutliche Verbesserung.
Es war dennoch ein schmerzhafter Kompromiss: Denn fast zeitgleich haben das Europaparlament und der Rat auf einer anderen Ebene den Zugriff auf personenbezogene Daten erlaubt. Nach den Anschlägen in Paris gab das Europaparlament seinen langjährigen Widerstand gegen die Speicherung von Fluggastdaten auf. Alle Reisetätigkeiten und persönliche Daten bis hin zur Kreditkartennummer sollen für Sicherheitsbehörden abrufbar sein. Kritisiert wird daran, dass nicht nur die Daten von verdächtigen Personen gespeichert werden, sondern auch von unbescholtenen Bürgern.