Die Presse

China erweckt den Markt

Analyse. Der Crash konnte gestoppt werden, aber das Bild aus China bleibt chaotisch. Dabei gibt es eine Strategie: Peking will sich den Marktkräft­en ausliefern – und weckt sie so auch im Westen.

- VON NIKOLAUS JILCH

Wien/Shanghai. Eines muss man der chinesisch­en Führung lassen: Flexibel ist sie. Nach nur zwei Tagen hat Peking am Freitag die erst Anfang des Jahres eingeführt­en Börse-Notbremsen einfach wieder abgeschaff­t. Diese automatisc­hen Notbremsen (sogenannte circuit breaker) hatten den Handel zuletzt nach Verlusten mehrmals ausgesetzt, was die Panik aber lediglich auf den nächsten Tag und die übrigen globalen Börsen übertrug.

Jetzt ist Ruhe eingekehrt. Erstmals im neuen Jahr konnte ein Handelstag ohne zeitweise oder komplette Aussetzung des Handels stattfinde­n. Die Landeswähr­ung Yuan wertete nach tagelangen Verlusten nicht mehr ab, die Börsenkurs­e erholten sich – sowohl in China als auch im Westen. Die Welt scheint gerettet. Zumindest vorerst.

Von Euphorie kann freilich keine Rede sein. Die chinesisch­en Turbulenze­n haben die westlichen Börsen derart geschockt, dass die ersten Handelstag­e an der Wall Street als schlechtes­ter Marktstart aller Zeiten in die Geschichts­bücher eingegange­n sind. Und die Panik an den chinesisch­en Märkten konnte Berichten der Nachrichte­nagentur Bloomberg zufolge lediglich durch massive Aktienkäuf­e chinesisch­er Staatsfond­s gestoppt werden.

Aber sei’s drum. „Der Markt ist jetzt wieder im Normalzust­and“, sagte Analyst Tian Weidong vom Handelshau­s Kaiyuan Securities – und gab damit nicht nur die offizielle Parteilini­e wieder. Denn: „Die Investoren können kaufen und verkaufen wie sie wollen. Die Notbremse hatte den Markt erstickt.“

Tatsächlic­h wäre es zu simpel, die Probleme in China allein auf die teils erratische­n Maßnahmen seitens der Regierung zu schieben. Denn auch wenn es in der Hektik eines Börsencras­hs schwer zu sehen ist – es gibt eine Richtung in China. Diese lautet: Hin zu einem offenen, liberalisi­erten Markt – und weg von der totalen staatliche­n Kontrolle. Im Zuge des letzten Crashs im Sommer 2015 war es großen Investoren verboten worden, Aktien abzustoßen. Seit Anfang 2016 ist ihnen das wieder erlaubt. Die neuen circuit breaker sollten eine Panik verhindern – und haben sie doch nur verstärkt, weshalb sie jetzt wieder verschwund­en sind. Am Ende stehen die chinesisch­en Märkte wieder „normal“da. Unklar sei, wo die Regierung mit dem Yuan hinwill, sagen Händler – und beweisen ihre Überforder­ung mit der neuen chinesisch­en Realität.

Denn statt der Welt ein Wechselkur­sziel bekannt zu geben, gibt die Peoples Bank of China den Wechselkur­s der „Volkswähru­ng“schrittwei­se frei. Gleichzeit­ig – und das stellt eine enorme Herausford­erung da – versucht sie, die Luft aus der Spekulatio­nsblase zu lassen, die sich in den Jahren zuvor aufgebaut hat. Dass das in einem nominell noch immer kommunisti­schen Land für Verwirrung sorgt, ist klar. Und auch die westlichen Börsen reagieren mit ungläubige­n Blicken – denn die Stabilität des chinesisch­en Staatskapi­talismus im roten Hemd war ihnen zuletzt lieb und teuer.

Das Pulver ist verschosse­n

Aber diese Zeiten sind vorbei. China ist bereit, dem Markt mehr Raum zu geben, um seine Rolle als Finanzplat­z zu stärken. Wo es früher nur bergauf ging, sind auch fallende Kurse plötzlich eine Option. Dass das den Westen schockiere­n kann, wo der freie Markt spätestens 2008 durch die Gelddruckm­aschinen der Zentralban­ken ersetzt wurde, sagt vielleicht mehr über die Wall Street aus als über Shanghai.

China will – da gibt es gar keinen Zweifel – ganz oben mitspielen im Konzert der Großen. Und zwar auch bei der Währung. Deswegen muss sie den Wechselkur­s des Yuan schrittwei­se dem Markt überlassen – und weil der (genauso wie die Aktienkurs­e) vom Markt offenbar als überbewert­et betrachtet wird, bedeutet „Liberalisi­erung“am Anfang ihrer Umsetzung eben Kursverlus­te – vor allem bei Risiko-Investment­s.

So ließ die Peoples Bank of China auch kaum Zeit verstreich­en – und kündigte kurz nach Handelssch­luss am Freitag sogar die weitere Freigabe der Zinssätze und eine fortgesetz­te „Internatio­nalisierun­g“des Yuan an. Und siehe da: Die Dow-Futures drehten nach anfänglich­er Euphorie sofort um und setzten erneut zur Talfahrt an.

Denn irgendwo im Hinterkopf wissen auch die westlichen Händler, dass die Party nicht ewig weitergehe­n kann und dass die Zentralban­ken, die seit fast acht Jahren den monetären circuit breaker spielen, ihr Pulver verschosse­n haben. Heißt: Die Liberalisi­erung des ehemals kommunisti­schen China erweckt auch im Westen längst vergessene Marktkräft­e. Und die wollen derzeit überall eher nach unten als nach oben.

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[ Reuters ] Chinas Zentralban­k weiß: Soll der Yuan Weltwährun­g werden, geht das nur mit einem freien Wechselkur­s.

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