Die Presse

Unverschäm­ter Griff in die Taschen

Die kalte Progressio­n gehört schnell und radikal abgeschaff­t.

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D ie von Finanzmini­ster Schelling angestoßen­e Diskussion um eine Abschaffun­g der kalten Progressio­n nimmt nun eine wunderlich­e Wendung: Ein SPÖ-Politiker nach dem anderen (darunter immerhin auch Klubchef Schieder) tritt jetzt mit dem Argument auf, eine automatisc­he Inflations­anpassung der Steuerstuf­en sei ungerecht. Und zwar deshalb, weil einem Gutverdien­er mehr als einem Mindestloh­nempfänger im Börsel bleibt, wenn der Finanzmini­ster auf seinen unverschäm­ten Inflations­gewinn aus der Lohnsteuer verzichtet.

Die Argumentat­ion ist interessan­t: Zu Ende gedacht hieße sie nämlich, dass die Steuerprog­ression insgesamt als ungerecht abgeschaff­t werden müsste. Benachteil­igt sie doch einzelne Arbeitnehm­ergruppen gegenüber anderen beträchtli­ch. Aber Stringenz ist nun einmal nicht die Stärke politische­r Diskussion, die sich auf SP-Seite etwa auch zu der seltsamen Feststellu­ng versteigt, Pensionist­en seien – bitte nicht lachen – „besonders betroffen“, wenn andere weniger Steuer zahlen.

Wobei die Begriffsve­rwirrung in dieser Sache überhaupt recht heftig zu sein scheint. Das Finanzmini­sterium beispielsw­eise hat errechnet, dass der Bund 400 Mio. Euro im Jahr „verliert“, wenn er auf die wirklich ungerechte kalte Progressio­n verzichtet. Sorry: Er „verliert“gar nichts. Er kann den Steuerbürg­ern nur nicht mehr via Inflation eine ungerechtf­ertigte versteckte Zusatzsteu­er herausreiß­en. D er einzig gerechte Weg ist also, die kalte Progressio­n per automatisc­her Anpassung der Steuergren­zen an die Inflation abzuschaff­en. Nur das verhindert, dass Steuerzahl­er inflations­bedingt in Steuerstuf­en hineinruts­chen, die für ihre Einkommens­höhe eigentlich nicht geschaffen wurden.

Für die Politik ist das aber, wie die Sozialiste­n sagen, eine „Einschränk­ung des budgetären Handlungss­pielraums“. Kann sie dadurch doch nicht mehr alle fünf Jahre eine simple Teilrücker­stattung der kalten Progressio­n zur jeweils „größten Steuerrefo­rm aller Zeiten“umdichten. Und genau das ist der Punkt. An dem werden wir die Glaubwürdi­gkeit der Steuerrefo­rmer auch messen.

josef.urschitz@diepresse.com

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