Apple will endlich wissen, was wir wirklich fühlen
Der Elektronikkonzern kauft einen digitalen Gefühlsdetektor, um unserer Innenleben zu erforschen – und um den Anschluss nicht zu verlieren. Schaut der der Fahrer wütend, schlägt das Navi eine neue Route vor.
Bald schon wird Apple ganz genau wissen, ob wir wütend oder begeistert sind, wenn wir auf unser iPhone blicken. Genau das verspricht zumindest Emotient, jenes Unternehmen, das sich der Elektronikkonzern eben einverleibt hat. Die Software von Emotient soll auf Fotos nicht nur die Gesichter von Menschen erkennen, sondern auch deren Gefühle ablesen können.
Was Apple genau mit diesem elektronischen Gefühlsdetektor anstellen will, ist unklar. Emotient hat seine Software bisher etwa an Händler verkauft, die damit testen konnten, wie Kunden auf Werbespots reagieren. Das junge Unternehmen hat auch ein Verfahren patentieren lassen, das die optischen Vorlieben von Online-Datern ausfindig macht. Doch Apples Einstieg in die digitale Kupplerei ist unwahrscheinlich. Branchenkenner vermuten eher, dass der Zukauf mit Plänen im Autobereich zusammenhängen könnte. In einem älteren PR-Video zeigt Emotient etwa ein Navigationssystem, das automatisch eine alternative Route vorschlägt, wenn es merkt, dass der Fahrer frustriert wird. Damit könnte ein Apple Car – so es irgendwann doch Realität werden sollte – durchaus punkten.
Aber egal, was Apple letztlich mit dem Wissen um unser Innenleben anstellen will, das Unternehmen kann es gut gebrauchen. Denn der heute wertvollste Börsenkonzern steht stärker unter Druck, als es die sprudelnden Ge- winne vermuten lassen. Sein größtes Problem ist die enorme Abhängigkeit von einem Produkt: dem iPhone. Mehr als 60 Prozent des Umsatzes und ein noch höherer Anteil des Gewinns steuern das Smartphone bei. Jüngste Berichte über eine Drosselung der iPhone-Produktion ließen den AppleKurs prompt einbrechen.
Während die Aktionäre von Facebook, Amazon oder der Google-Mutter Alphabet im Vorjahr gut verdient haben, mussten Apple-Anleger zuletzt sogar Verluste hinnehmen. Die Zweifel, wie das Unternehmen in einer Zukunft nach dem iPhone-Boom Geld verdienen soll, sind groß. Bei Zukunftsthemen wie künstlicher Intelligenz hinkt Apple bis dato hinterher. Darum investiert der Konzern in Firmen wie Emotient oder VocalIQ, ein Unternehmen, das per künstlicher Intelligenz Stimmen erkennt. Apple könnte tatsächlich in absehbarer Zeit in der Lage sein, Gefühle aus unserer Stimme und unserem Gesichtsausdruck abzulesen.
Doch Alphabet, Facebook oder Microsoft arbeiten längst an ähnlichen Programmen und haben auch weniger Scheu, die gesammelten Daten in großem Stil auszubeuten. Apple wirbt hingegen mit dem Versprechen, genau das nicht zu tun. So erfreulich diese für eine US-Technikfirma untypisch „europäische“Einstellung zur Privatsphäre für Kunden ist, für das Geschäft mit der künstlichen Intelligenz ist sie hinderlich. Man wird sehen, wie lang Apple auf die große Datenschlacht noch verzichten kann.
matthias.auer@diepresse.com