„Ich bin ja eine verkappte Schauspielerin“
Theater an der Wien. Angelika Kirchschlager über Brechts „Dreigroschenoper“und ihre Rolle als Frau des Bettlerkönigs. Musiktheater müsse mit der Zeit gehen, sagt die Sängerin. Ein statischer Don Giovanni in Strumpfhosen „geht nicht mehr“.
Die Presse: Warum ist die „Dreigroschenoper“so beliebt? Angelika Kirchschlager: Die Musik ist einfach toll. Ein Hit reiht sich an den nächsten, und es gibt so viele verschiedene Stile, Barock, Tango, Jazz. Alles ist sehr eingängig, auch wenn das Thema leichter Unterhaltung widerspricht. Ich habe vor einigen Jahren mit HK Gruber eine konzertante Aufführung gemacht, mit Dorothea Röschmann und Ian Bostridge, mit dieser Produktion waren wir auf Tournee. Ich habe die Seeräuber-Jenny gesungen. Das war mein erstes Zusammentreffen mit der „Dreigroschenoper“.
Diesmal haben Sie mit der Frau des Bettlerkönigs Peachum fast eine Sprechrolle. Das habe ich gerade spannend gefunden. Ich bin ja eine verkappte Schauspielerin. So viel wie bei Mrs. Peachum konnte ich noch nie sprechen, und die Dialoge sind köstlich.
Wie sehen Sie diese Dame? Kommt sie aus dem Prostituiertenmilieu wie andere Frauen in diesem Stück? Kann sein. Sie kennt sich jedenfalls aus und hat beste Kontakte. Mrs. Peachum ist eine Frau in den besten Jahren, sie versucht, Anschluss an die Gesellschaft zu finden, was ihr aber nicht gelingt. Sie weiß, wie man Intrigen spinnt, sie ist nicht dumm, sogar ziemlich gescheit. Der Bettlerkönig und Mackie Messer sind im Unterweltmilieu in gewisser Weise Konkurrenten, und manchmal sagt Frau Peachum zu ihrem Mann: „Schau, der Mackie Messer hat es geschafft, der nimmt sich, was er will, im Gegensatz zu dir!“
Herr und Frau Peachum schenken einander kräftig ein. Er kommandiert sie herum, sie sagt zu ihm: „Die Sinnlichkeit hat deine Tochter jedenfalls nicht von dir!“Die Peachums sind ein eingeschworenes Ehepaar, und das schon viele Jahre. Es gibt viel Streit zwischen ihnen. Aber im Grunde verstehen sie sich. Sie haben es sogar relativ schön miteinander – und vor allem mit ihrer florierenden Firma, die Bettler ausstattet und einen fetten Teil des Geldes einkassiert, das die armen Leute einsammeln. Herr und Frau Peachum sind wie Mafiabosse.
Haben Sie schon öfter Weill gesungen? Ich habe an der Staatsoper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“gemacht und auch in Paris – „Mahagonny“gemeinsam mit den „Sieben Todsünden“. Mein erstes Weill-Lied habe ich noch in der Klasse bei Walter Berry gesungen: „Der Abschiedsbrief“.
Die „Dreigroschenoper“ist vielleicht auch deswegen so beliebt, weil sie so ein fabelhaftes Zwischending zwischen Musical und Oper und dabei auch noch amüsant ist. Opern sind ja meist tief tragisch. Sicher. Allerdings: Das Tragische ist es, was das Leben bewegt. Es gibt glückliche Momente, in denen man Kraft sammeln kann für die Zeit, wenn es dann wieder schmerzhaft oder dramatisch wird.
So rein von außen betrachtet wirken Sie jugendlich, frisch und erfolgreich. Das eine schließt das andere nicht aus. Ich bin 50 Jahre alt, wenn ich noch nie schwere Zeiten gehabt hätte, wäre das seltsam, oder? Im Vergleich zu vielen anderen Menschen habe ich sicher unglaublich viele Glücksmomente erlebt. Das Leben war und ist sehr gut zu mir. Trotzdem ist es meine Erfahrung, dass in meinen schweren Momenten Wichtiges entstanden ist. Zweifel sind wichtig für einen Künstler. Manchmal muss man sich sogar mit den Zweifeln auf die Bühne stellen. Das ist nicht lustig.
Sprechen Sie von eigenwilligen Regisseuren, die ausgepfiffen werden? Manche tun mir leid. Manche auch nicht, dann denke ich: Jetzt habe ich sechs Wochen leiden müssen, jetzt soll der Regisseur mal kurz leiden. Aber natürlich wünscht man niemandem, dass er ausgepfiffen wird.
Und wie ist es so mit Keith Warner, der die „Dreigroschenoper“inszeniert? Wunderbar! Er ist einer meiner liebsten Regisseure. Ich habe vor einigen Jahren mit ihm im Theater an der Wien Brittens „The Rape of Lucretia“gemacht, das war eine meiner tollsten Produktionen. Wenn man mit einem guten Regisseur in die Gewölbe der Seele steigen kann, das sind die spannendsten Momente in der Oper.
Opernsängerinnen waren früher eher gravitätisch. Heute sind sie oft schlank und beweglich. Wie haben Sie diese Veränderungen auf der Opernbühne erlebt? Ich habe kürzlich so lachen müssen, als ich diesen Spruch hörte: „Park and bark“. Du trittst auf und singst. Sicher ist, es singt sich leichter mit ein paar Kilo mehr, man muss muskulär nicht so viel arbeiten. Früher war alles auf die Stimme ausgerichtet. Jetzt verteilt sich die Persönlichkeit eines Sängers auf mehrere Komponenten. Die klassische Musik wie auch das Musiktheater müssen mit der Zeit gehen. Meine Großmutter hat Rudolf Prack geliebt. Jetzt findet man Typen wie Johnny Depp oder Brad Pitt sexy. Medien oder Film sind eine Konkurrenz für die Oper. Ein Don Giovanni in Strumpfhosen, der an der Rampe seine Arien singt, geht nicht mehr. Es gibt ideale Doppelpacks wie Bryn Terfel, die gut aussehen und toll singen. Aber die meisten sind ein Patchwork. Auch ich.
Sie machen ziemlich viel. Sind Sie nicht manchmal müde? Was tun Sie dann? Meistens muss ich weiterarbeiten. Mein Sohn Felix studiert jetzt Schauspiel in Berlin. Das war eine große Umstellung, weil die vergangenen 20 Jahre mein Leben außerhalb des Berufes ganz auf ihn ausgerichtet war. Ich war schon ein wenig verlassen. Aber viel zum Grübeln komme ich zum Glück nicht. Da sind die vielen Tätigkeiten wieder ein Vorteil.