Die Presse

„Ich bin ja eine verkappte Schauspiel­erin“

Theater an der Wien. Angelika Kirchschla­ger über Brechts „Dreigrosch­enoper“und ihre Rolle als Frau des Bettlerkön­igs. Musiktheat­er müsse mit der Zeit gehen, sagt die Sängerin. Ein statischer Don Giovanni in Strumpfhos­en „geht nicht mehr“.

- VON BARBARA PETSCH

Die Presse: Warum ist die „Dreigrosch­enoper“so beliebt? Angelika Kirchschla­ger: Die Musik ist einfach toll. Ein Hit reiht sich an den nächsten, und es gibt so viele verschiede­ne Stile, Barock, Tango, Jazz. Alles ist sehr eingängig, auch wenn das Thema leichter Unterhaltu­ng widerspric­ht. Ich habe vor einigen Jahren mit HK Gruber eine konzertant­e Aufführung gemacht, mit Dorothea Röschmann und Ian Bostridge, mit dieser Produktion waren wir auf Tournee. Ich habe die Seeräuber-Jenny gesungen. Das war mein erstes Zusammentr­effen mit der „Dreigrosch­enoper“.

Diesmal haben Sie mit der Frau des Bettlerkön­igs Peachum fast eine Sprechroll­e. Das habe ich gerade spannend gefunden. Ich bin ja eine verkappte Schauspiel­erin. So viel wie bei Mrs. Peachum konnte ich noch nie sprechen, und die Dialoge sind köstlich.

Wie sehen Sie diese Dame? Kommt sie aus dem Prostituie­rtenmilieu wie andere Frauen in diesem Stück? Kann sein. Sie kennt sich jedenfalls aus und hat beste Kontakte. Mrs. Peachum ist eine Frau in den besten Jahren, sie versucht, Anschluss an die Gesellscha­ft zu finden, was ihr aber nicht gelingt. Sie weiß, wie man Intrigen spinnt, sie ist nicht dumm, sogar ziemlich gescheit. Der Bettlerkön­ig und Mackie Messer sind im Unterweltm­ilieu in gewisser Weise Konkurrent­en, und manchmal sagt Frau Peachum zu ihrem Mann: „Schau, der Mackie Messer hat es geschafft, der nimmt sich, was er will, im Gegensatz zu dir!“

Herr und Frau Peachum schenken einander kräftig ein. Er kommandier­t sie herum, sie sagt zu ihm: „Die Sinnlichke­it hat deine Tochter jedenfalls nicht von dir!“Die Peachums sind ein eingeschwo­renes Ehepaar, und das schon viele Jahre. Es gibt viel Streit zwischen ihnen. Aber im Grunde verstehen sie sich. Sie haben es sogar relativ schön miteinande­r – und vor allem mit ihrer florierend­en Firma, die Bettler ausstattet und einen fetten Teil des Geldes einkassier­t, das die armen Leute einsammeln. Herr und Frau Peachum sind wie Mafiabosse.

Haben Sie schon öfter Weill gesungen? Ich habe an der Staatsoper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“gemacht und auch in Paris – „Mahagonny“gemeinsam mit den „Sieben Todsünden“. Mein erstes Weill-Lied habe ich noch in der Klasse bei Walter Berry gesungen: „Der Abschiedsb­rief“.

Die „Dreigrosch­enoper“ist vielleicht auch deswegen so beliebt, weil sie so ein fabelhafte­s Zwischendi­ng zwischen Musical und Oper und dabei auch noch amüsant ist. Opern sind ja meist tief tragisch. Sicher. Allerdings: Das Tragische ist es, was das Leben bewegt. Es gibt glückliche Momente, in denen man Kraft sammeln kann für die Zeit, wenn es dann wieder schmerzhaf­t oder dramatisch wird.

So rein von außen betrachtet wirken Sie jugendlich, frisch und erfolgreic­h. Das eine schließt das andere nicht aus. Ich bin 50 Jahre alt, wenn ich noch nie schwere Zeiten gehabt hätte, wäre das seltsam, oder? Im Vergleich zu vielen anderen Menschen habe ich sicher unglaublic­h viele Glücksmome­nte erlebt. Das Leben war und ist sehr gut zu mir. Trotzdem ist es meine Erfahrung, dass in meinen schweren Momenten Wichtiges entstanden ist. Zweifel sind wichtig für einen Künstler. Manchmal muss man sich sogar mit den Zweifeln auf die Bühne stellen. Das ist nicht lustig.

Sprechen Sie von eigenwilli­gen Regisseure­n, die ausgepfiff­en werden? Manche tun mir leid. Manche auch nicht, dann denke ich: Jetzt habe ich sechs Wochen leiden müssen, jetzt soll der Regisseur mal kurz leiden. Aber natürlich wünscht man niemandem, dass er ausgepfiff­en wird.

Und wie ist es so mit Keith Warner, der die „Dreigrosch­enoper“inszeniert? Wunderbar! Er ist einer meiner liebsten Regisseure. Ich habe vor einigen Jahren mit ihm im Theater an der Wien Brittens „The Rape of Lucretia“gemacht, das war eine meiner tollsten Produktion­en. Wenn man mit einem guten Regisseur in die Gewölbe der Seele steigen kann, das sind die spannendst­en Momente in der Oper.

Opernsänge­rinnen waren früher eher gravitätis­ch. Heute sind sie oft schlank und beweglich. Wie haben Sie diese Veränderun­gen auf der Opernbühne erlebt? Ich habe kürzlich so lachen müssen, als ich diesen Spruch hörte: „Park and bark“. Du trittst auf und singst. Sicher ist, es singt sich leichter mit ein paar Kilo mehr, man muss muskulär nicht so viel arbeiten. Früher war alles auf die Stimme ausgericht­et. Jetzt verteilt sich die Persönlich­keit eines Sängers auf mehrere Komponente­n. Die klassische Musik wie auch das Musiktheat­er müssen mit der Zeit gehen. Meine Großmutter hat Rudolf Prack geliebt. Jetzt findet man Typen wie Johnny Depp oder Brad Pitt sexy. Medien oder Film sind eine Konkurrenz für die Oper. Ein Don Giovanni in Strumpfhos­en, der an der Rampe seine Arien singt, geht nicht mehr. Es gibt ideale Doppelpack­s wie Bryn Terfel, die gut aussehen und toll singen. Aber die meisten sind ein Patchwork. Auch ich.

Sie machen ziemlich viel. Sind Sie nicht manchmal müde? Was tun Sie dann? Meistens muss ich weiterarbe­iten. Mein Sohn Felix studiert jetzt Schauspiel in Berlin. Das war eine große Umstellung, weil die vergangene­n 20 Jahre mein Leben außerhalb des Berufes ganz auf ihn ausgericht­et war. Ich war schon ein wenig verlassen. Aber viel zum Grübeln komme ich zum Glück nicht. Da sind die vielen Tätigkeite­n wieder ein Vorteil.

 ?? [ Jeff Mangione / Kurier / picture- ?? „Im Glück kann man Kraft sammeln. Aber es ist das Tragische, das das Leben bewegt“, so Angelika Kirchschla­ger.
[ Jeff Mangione / Kurier / picture- „Im Glück kann man Kraft sammeln. Aber es ist das Tragische, das das Leben bewegt“, so Angelika Kirchschla­ger.

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