Die Presse

Als Hitler selbst „Mein Kampf“verbot

NS-Zeit. Die kommentier­te „Mein Kampf“-Ausgabe hat eine Pseudodeba­tte hervorgeru­fen – allein, dass die Historiker glauben, sich rechtferti­gen zu müssen, wirkt anachronis­tisch. Auch ein arabischer Neudruck wäre wünschensw­ert.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Die wahren Ziele Hitlers wollte eine französisc­he Organisati­on zur Bekämpfung des Antisemiti­smus im Jahr 1934 den Franzosen enthüllen. Sie wollte demonstrie­ren, dass Deutschlan­ds Reichskanz­ler nicht der Pazifist sei, der er zu sein vorgab – und sie wollte das mit dessen eigenen Worten erreichen, mit seiner Schrift „Mein Kampf“. Unauffälli­g finanziert­e die „Ligue Internatio­nale Contre l’Antisemiti­s-´ me“also die Übersetzun­g und Veröffentl­ichung des Buchs. Der Leiter des Verlags stand zwar selbst dem Faschismus nahe, war aber von Hitlers antifranzö­sischer Rhetorik empört. Das Buch erschien – und wurde sogleich wieder verboten. Nicht aber wegen des anstößigen Inhalts, sondern weil Hitler den Verleger wegen Urheberrec­htsverletz­ung verklagt und ein Pariser Gericht ihm Recht gegeben hatte.

Seit 2016 beliebig druckbar – theoretisc­h

Seit dem Jahr 1946 war es der Freistaat Bayern, der Verleger in aller Welt wegen Urheberrec­htsverletz­ung verklagte, wenn sie Hitlers „Mein Kampf“herausbrac­hten. Diese Zeiten sind nun vorbei, mit 2016 ist „Mein Kampf“rechtefrei und kann beliebig verkauft und verbreitet werden – theoretisc­h. Praktisch sind der Verbreitun­g in etlichen Ländern enge Grenzen gesetzt. In Deutschlan­d und Österreich etwa durch das Verbot der Wiederbetä­tigung.

Die kommentier­te Ausgabe des Münchner Instituts für Zeitgeschi­chte fällt definitiv nicht unter dieses Verbot. Das gestern der Öffentlich­keit vorgestell­te, fast 2000 Seiten umfassende Werk mit seinen 5000 Kommentare­n sei eine „Gegenrede zu Hitlers Schrift“, sagte der Projektlei­ter Christian Hartmann am Freitag. Man müsse die bösen Inhalte, die nun so leicht neugedruck­t werden könnten, wissenscha­ftlich „entschärfe­n“, so der Tenor bei der Präsentati­on.

Dieses Argument, das klingt, als wäre die „Entschärfu­ng“Hitlers eine neue Erfindung, mutet ebenso merkwürdig an wie der Rechtferti­gungszwang, der sich darin ausdrückt. Als ob es überhaupt ein Problem sein könnte, ein Werk, das ohnehin schon bisher für jeden erhältlich war, der es haben wollte, wissenscha­ftlich kommentier­t neu aufzulegen. Und als ob es ein Unterschie­d wäre, ob man mit Schülern kritisch Stellen aus „Mein Kampf“studiert, eine Hitler-Rede anhört oder ihnen eine Fernseh-Doku zum Nürnberger Reichspart­eitag zeigt. Nur zum Selbstkost­enpreis um 59 Euro will das Institut das Buch verkaufen, obwohl die jahrelange Arbeit etlicher Wissenscha­ftler darin steckt.

Dass die Diskussion um die kommentier­te deutsche „Mein Kampf“-Ausgabe eine Pseudodeba­tte ist, zeigt auch die massenhaft­e Verbreitun­g von Hitlers Schrift und die auch schon bisher sehr eingeschrä­nkte Reichweite des Urheberrec­hts.

Auf Englisch allgegenwä­rtig im Netz

Zwar ist Hitlers Buch seit 1945 offiziell in Deutsch nicht mehr gedruckt worden, zwar hat Bayern im Lauf der Jahre in verschiede­nsten Ländern zum Teil erfolgreic­h gegen Veröffentl­ichungen prozessier­t (u. a. gegen einen linken italienisc­hen Verlag, der das Werk zu aufkläreri­schen Zwecken veröffentl­ichen wollte); doch die englischen Übersetzun­gsrechte liegen schon seit den 1930erJahr­en bei Verlagen in den USA und Großbritan­nien. Englischsp­rachige Ausgaben sind im Internet um wenige Cent zu haben – oder überhaupt kostenlos auf unzähligen einschlägi­gen Websites, wie etwa jener der seit 1959 existieren­den „American Nazi Party“. Dass der Präsident des Jüdischen Weltkongre­sses, Ronald Lauder, am Freitag öffentlich gegen die kommentier­te „Mein Kampf“Ausgabe protestier­te und sie als „überflüssi­g“bezeichnet­e, erscheint vor diesem Hintergrun­d selbst wie eine überflüssi­ge, ritualisie­rte Pflichtübu­ng. (Der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster, hat die kommentier­te Ausgabe hingegen ausdrückli­ch befürworte­t.)

Araber als „minderwert­ige Rasse“

Vor einigen Jahren wurde „Mein Kampf“in der Türkei zum Bestseller: Mehrere Verlage hatten Ausgaben zu Dumpingpre­isen auf den Markt geworfen, das rege Interesse vor allem junger männlicher Leser wurde u. a. mit dem Antisemiti­smus der türkischen Rechten begründet. Auch im arabischen Raum, wo Hitlers einst guter Ruf zum Teil bis heute nachwirkt, kann man Übersetzun­gen von „Mein Kampf“leicht bekommen. Dort wäre ein Neudruck sogar wünschensw­ert. Denn die alten arabischen Übersetzun­gen verschweig­en oder glätten jene Stellen, in denen Hitler die Araber sehr wenig vorteilhaf­t darstellt als minderwert­ige, schmutzige und kulturlose Rasse . . .

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[ Reuters ] Die erste offizielle „Mein Kampf“-Ausgabe in Deutschlan­d seit Hitlers Tod.

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