Die Presse

Die unbekannte Metropole

Breslau im heutigen Polen ist 2016 europäisch­e Kulturhaup­tstadt.

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Dies ist die absurde Geschichte von blutigem Kampf zwischen Slawen und Deutschen, von Landnahme, von blühendem Handel, verblendet­er Kriegstrei­berei, totaler Zerstörung, Austreibun­g der Ansässigen, Neubesiedl­ung durch Fremde. Die schlesisch­e Hauptstadt Breslau wird ab 17. Jänner (mit dem baskischen San Sebastian)´ für ein Jahre lang Europas Kulturhaup­tstadt sein. Breslau, heute Wrocław genannt.

Eine tausendjäh­rige Stadtentwi­cklung wurde 1945 durch Hitlers Wahnsinn mit einem Schlag zunichte gemacht, vor der Kapitulati­on am 6. Mai 1945 von der sowjetisch­en Roten Armee in Schutt und Asche gelegt. Was noch unversehrt war, sprengte die abziehende Deutsche Wehrmacht.

So begann für die „Perle an der Oder“tatsächlic­h eine Stunde Null. Die deutsche Mehrheitsb­evölkerung wurde aus den Ruinen vertrieben, nachrücken­de Polen, ebenso heimatlos, nahmen von dem Schutthauf­en Besitz. Und dieser wurde drei Jahre lang abgetragen. Aber nicht für den Wie- deraufbau der Stadt, nein, die gotischen Ziegel gingen auf Befehl der neuen KPHerrsche­r nach Warschau, in die Metropole, die sofort detailgetr­eu wiedererst­ehen sollte. Zweihunder­t Millionen Ziegel waren das jährlich, zehn Jahre lang. So war klar, dass Breslaus Bausubstan­z weiter verfiel.

Es ist dies nur ein besonders schmerzhaf­tes Kapitel in der tausendjäh­rigen Geschichte einer Stadt, die einst preußische Residenzst­adt gewesen ist. Eine Geld- und Handelssta­dt, ein Umschlagpl­atz für die Textilprod­ukte, die etwa um 1847 von Tausenden dampfbetri­ebenen Spindeln in der größten Fabrik der Stadt produziert wurden. Die dadurch ausgelöste Not der schlesisch­en Weber hat Gerhart Hauptmann in Weltlitera­tur umgewandel­t.

Nach der Katastroph­e im 20. Jahrhunder­t, der schleppend­en Wiederaufb­auarbeit und dem sich zäh entwickeln­den Wirtschaft­sleben brach auch für das nun polnische Breslau Ende der Siebzigerj­ahre die politische Umwälzung an. Wenig bekannt ist, dass in der viertgrößt­en Stadt Polens Lech Wałesas˛ freie Gewerkscha­ft Solidarnos´c´ eine ungeheure Anhängersc­haft hatte. Permanente Streiks führten letztlich zum Umbruch in Polen, zum Anfang vom Ende des kommunisti­schen Osteuropas. Jetzt erst kam es zur Restaurier­ung der vielen mittelalte­rlichen Kirchen, heute der ganze Stolz der neuen Kulturhaup­tstadt.

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