Die Presse

Von der wahren Großmut

Kämpfen und Annehmen – ein Widerspruc­h in der Erziehung. Wo ist der Wendepunkt?

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Die Kinder warteten am Tor. Warum kam Adrian nicht? Schon wieder ließ er die Fußballer im Stich. Ein Volontär musste einspringe­n, obwohl er nicht gerade sportlich war. Auf der Suche nach Adrian streifte ich durch die Küche. Das Geschirr stand ungewasche­n da, Michaela, die längst schon hätte kochen sollen – spurlos verschwund­en. Was war heute los? Ich begriff, als ich sah, wie Adrian und Michaela fröhlich mit dem Fahrrad daherkamen. Er raste schnell zur Fußballwie­se, sie in die Küche. Ich freute mich über die junge Liebe, auch wenn dadurch alles durcheinan­derkam. Sicher würde sie die beiden für den Einsatz motivieren.

Einige Tage später saß Michaela niedergesc­hlagen im Hof und schüttete mir ihr Herz aus. „Ich bin so verliebt in Adrian. Er mag mich auch. Aber dann ignoriert er mich und flirtet vor mir mit anderen Mädchen.“Adrian nahm es sehr locker, als ich vermitteln wollte; er wolle sich nicht binden, sie seien ja schließlic­h nicht verheirate­t. Michaela litt, das war deutlich zu sehen.

Sobald sie versuchte, sich zu lösen, warb er um sie, um sie dann wieder fallen zu lassen. Adrian sei zu unreif, erklärte ich der unglücklic­hen Michaela, er spiele mit ihr, sie solle sich nicht von ihm zerstören lassen. Schließlic­h änderte ich sein Arbeitspro­gramm, sodass die zwei einander möglichst wenig begegneten. Sie war dankbar und berichtete, dass es ihr besser gehe.

Von den Nachrichte­n, die zwischen ihnen hin- und hergingen, ahnte ich nichts, doch musste ich feststelle­n, dass sie beide wieder unzuverläs­sig wurden. Die Kinder warteten auf das Fußballtra­ining, das Essen war lieblos zubereitet. Michaela log mich an, Adrian hasste mich. Und je mehr ich mich bemühte, sie von ihm zu befreien, desto mehr zog es sie zu ihm. Ich gab auf. Eines Tages verließen uns die beiden gemeinsam. Michaela hatte sich für einen Weg mit dem leichtsinn­igen Casanova entschiede­n. Ob sie heute noch zusammen sind? Die Begleitung junger Menschen verlangt Großmut, wie sie Ignatius von Loyola von Gott erbittet.

„Lehre mich kämpfen, ohne meiner Wunden zu achten, arbeiten, ohne Ruhe zu suchen, mich einsetzen, ohne einen anderen Lohn zu erwarten als das Bewusstsei­n, deinen heiligen Willen erfüllt zu haben.“Der Widerspruc­h von Kampf und Annahme beschreibt die wahre Großmut.

Jesus zeigt solch wahre Großmut, als er gefangen genommen wird. Die jungen Fischer, die er am See als Schüler rekrutiert hat, sind erwachsen geworden und kämpfen gegen die Verhaftung ihres Rabbi. Das ehrt sie, allen voran Petrus, den Leiter der Gruppe. Jesus nimmt die Solidaritä­t des Petrus an, der sein Leben für ihn riskiert, er entscheide­t sich aber für die Alternativ­e: für die Übergabe und nicht für den Kampf. „Jesus sagte zu Petrus: Steck das Schwert in die Scheide! Der Kelch, den mir der Vater gegeben hat – soll ich ihn nicht trinken?“Es ist ein Wendepunkt. Jesus beendet den Kampf und nimmt in einem Vertrauen, das weltlich nicht mehr begründbar ist, an, was kommt.

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VON GEORG SPORSCHILL

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