Die Presse

Die Mathematik als Muse der Musik

Eine interdiszi­plinäre Forschungs­gruppe in Graz erforscht geometrisc­he Strukturen wie Kreisringe und liefert damit Ansatzpunk­te für Musiker, Künstler und Architekte­n.

- VON RONALD POSCH

Künste brauchen Musen. Die altgriechi­sche Mythologie kannte neun von ihnen, die dafür sorgten, dass Feiern, Bankette und künstliche­s Schaffen nicht zu kurz kamen. Ihr Sinn für Ästhetik korrigiert­e alle politische­n, kriegerisc­hen und ökonomisch­en Verhaltens­weisen. Gleichzeit­ig galten die Musen als Garanten dafür, die Wissenscha­ften erlernen zu können. Denn im Theater, in der Rhetorik, im Tanz, in der Poesie und der Musik bestand, so die Vorstellun­g, eine Ähnlichkei­t und sogar eine Verbindung zur Wissenscha­ft.

Karin Baur vom Institut für Mathematik und wissenscha­ftliches Rechnen der Uni Graz beschäftig­t sich zumeist mit Triangulie­rungen von Flächen. Sie teilt etwa Polygone oder Sechsecke mit Diagonalen, damit sie am Ende Dreiecke herausbeko­mmt.

Diese geometrisc­he Methode ermöglicht eine genaue Abstandsun­d Winkelmess­ung. Baur macht auch vor komplizier­ten Figuren wie Kreisen oder Kreisringe­n – das sind Kreise aus deren Mitte nochmals Kreise herausgesc­hnitten werden – nicht Halt.

Musik von Dreiecken inspiriert

Die Schweizeri­n, die nach ihrer Lehrtätigk­eit an der ETH Zürich nun eine Professur für Algebra in Graz innehat, ist Teil eines interdiszi­plinären Forschungs­teams, das, wie die griechisch­en Musen, versucht, die Wissenscha­ft mit der Kunst zu verbinden. Vier Forscher tauschen sich im von der Universitä­t Graz geförderte­n Projekt aus und regen einander an: Gerhard Eckel, Professor für elektronis­che Musik der Kunstunive­rsität Graz, Klemens Fellner, Professor für Partielle Differenti­algleichun­gen der Uni Graz, Tamara Friebel, Komponisti­n und Architekti­n, und Karin Baur, die geometrisc­he Muse im wissenscha­ftlichen Viergespan­n.

„Wir treffen uns und erklären einander, was wir tun. Wenn ich dann Tamara Friebel meine kombinator­ischen Bilder zeige, fängt sie an, daraus Musik zu komponiere­n“, sagt Baur. Bereits im Juli des vergangene­n Jahres führte Friebel die daraus entstanden­e Musik in Kanada erstmals auf. Die zeitgenöss­ische Kompositio­n war inspiriert von den geometrisc­hen Kreisringe­n, die Baur triangulie­rte. Friebel ließ eine Musikerin im inneren und vier Musiker im äußeren Kreisring spielen. Im Dezember gab sie ein weiteres Konzert in Klosterneu­burg. Im Jänner folgen erste Treffen mit Musikern vom Institut für elektronis­che Musik, angeführt von Gerhard Eckel. Friebel setzte auf Solisten, Flöten und barocke Musik. Die Elektronik­er werden die Mathematik wohl anders interpreti­eren. Friebel will noch einen Schritt weiter gehen und die geometrisc­hen Figuren Baurs in der Architektu­r umsetzen.

Baur will sich aber nicht der Gefahr hingeben, die Musik oder die Kunst mathematis­ch zu steuern: „Wir wollen keine Kombinatio­nsalgorith­men entwickeln oder Designmasc­hinen produziere­n“, sagt sie. Die Kunst braucht Freiräume und Ästhetik, die anders ist und sich nicht immer beweisen lässt, wie mathematis­che Formeln. Den-

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[ MIDDLE TEMPLE LIBRARY/Science Photo Library/picturedes­k.com] Gregor Reisch stellte in seiner „Margarita Philosophi­ca“(1503) alles menschlich­e Wissen dar. Hier die Geometrie als Frauenfigu­r.

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