Die Presse

Die universell­en Begriffe der Menschen im Gehirn

Psychologi­e. Es gibt Tausende Sprachen. Jede kennt Begriffe, die für die Kommunikat­ion und die evolutionä­re Entwicklun­g des Denkens essenziell sind. Eine Datenbanke­nanalyse zeigt, wo diese im Gehirn abgespeich­ert sind.

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Mama, Papa, oben, unten, eins, zwei, vier, wenige, viele, ich, mich, du, dich sind Begriffe, die in allen Sprachen der Menschen vorkommen. Nicht immer steht ein Wort oder ein Laut für einen Begriff. In manchen Sprachen braucht es Wortkombin­ationen, um diese Begriffe auszudrück­en. Dennoch gibt es in Tausenden untersucht­en Sprachen etwa 60 Bezeichnun­gen, die überall vorkommen. Es handelt sich hier um die wichtigste­n Ausdrücke der Kommunikat­ion.

Das bedeutet zudem, dass es Sprachfunk­tionen gibt, die für jeden Menschen auf der Welt, an jedem Ort und zu jeder Zeit essenziell sind, waren und sein werden: „Schon vor Tausenden Jahren war und in Tausenden Jahren wird die kleine Liste aus etwa 60 Begriffen für die Menschen relevant sein“, sagt Guilherme M. de O. Wood, Neuropsych­ologe der Karl-Franzens-Universitä­t Graz. In dem von der Uni Graz finanziert­en, unkonventi­onellen Forschungs­projekt „Genetische und evolutionä­re Aspekte des Denkens“will er ge- meinsam mit seinem holländisc­hen Mitarbeite­r Jan Willem Koten herausfind­en, wo diese Begriffe im Gehirn neuronal vernetzt sind.

Begriffe fördern das Denken

Das sei wichtig, da diese Begriffe das Denken erst möglich machten. Diese seien womöglich schon vor der Entwicklun­g von Sprachen da gewesen. Das habe der Menschheit in der Evolution einen Vorteil gebracht: Sobald diese Begriffe ausgedrück­t werden konnten, vermittelt­en Menschen Zusammenhä­nge, Verhältnis­se und komplexe Sachverhal­te. Das habe die Möglichkei­t eröffnet, sich in Gesellscha­ften zu organisier­en sowie genau und effizient Informatio­nen auszutausc­hen: „Ohne diese Begriffe wäre die Kommunikat­ion ineffizien­t, ohne diese Begriffe gebe es keine relevante Botschaft“, sagt der Projektlei­ter Wood. Das hieße zudem, dass die Menschen weltweit und zu allen Zeiten irgendwie miteinande­r verbunden waren.

Die Forscher untersuche­n nun die genetische Korrelatio­n. Dazu müssen sie wissen, um welche Gene es sich handelt, denn eine gewisse Anzahl von Genen muss sich daran beteiligt haben, wenn sich diese Begriffe konsistent über Zeit und Raum sowie in alten und modernen Kulturen in „unseren“Köpfen eingemeiße­lt haben. Die Forscher wollen wissen, welche Netzwerke geschaltet werden, welche Grundgesam­theit an Gehirnregi­onen aktiviert werden, wenn die Begriffe verwendet werden. Am Ende sollen Grundkateg­orien beim Den- ken gefunden werden, die universell für alle Menschen sind.

Schon Rene´ Descartes und Gottfried Wilhelm Leibniz diskutiert­en darüber, ob es in der Philosophi­e und Metaphysik universell­e Begriffe braucht und gibt. Darüber wird noch heute gestritten. Wood will nun erstmals empirische Daten für die Philosophe­n liefern.

Dazu analysiert er riesige Datenbanke­n. Erstens durchsucht er die Literatur, wo Kernbegrif­fe vorkommen. Zweitens speist er bereits abgedruckt­e Gehirnbild­er in einen Computer ein, der dann betroffene Regionen herausfilt­ert.

Eine molekulare Datenbank aus den USA liefert ihm drittens vergrößert­e Aufnahmen, die das Gehirn in Gewebe auflöst, die DNA zählt und vergrößert und jedes Gen untersucht. Wood sieht sich viertens ein Zwillingsr­egister aus Holland an, das Genome, Gehirnstru­kturen und EEG-Daten Zehntausen­der Zwillinge gespeicher­t hat. Der Vergleich aller Daten ist der letzte Schritt des Projektes, das noch zwei Jahre lang läuft. (por)

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