Die Presse

Punktgenau­e Ortung im Gebäude

Der Elektrotec­hniker entwickelt eine Technik, mit der man in Innenräume­n exakt navigieren kann: Das hilft bei Rettungsei­nsätzen, in der Industrie und im Alltag.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Wer kann behaupten, sich noch nie in einem Gebäude verirrt zu haben? Fast jeder stand schon irgendwo vor einer falschen Tür oder im falschen Stock. Wie praktisch wäre ein Navi am Handy, das in Gebäuden funktionie­rt. Denn GPS-Signale, die uns per Smartphone längst den Weg durch Stadt und Land weisen, gelangen nicht in Innenräume. Sobald der Sichtkonta­kt zum Satelliten unterbroch­en ist, ist man für GPS unsichtbar.

„Außerdem taugt die Genauigkei­t von GPS nicht für Innenräume“, sagt Klaus Witrisal vom Institut für Signalvera­rbeitung und Sprachkomm­unikation der TU Graz. Zehn Meter auf oder ab reichen im Freien. Doch in einem Gebäude müsste man Personen oder Objekte auf den Zentimeter genau lokalisier­en. Dies ist das Ziel von Witrisals Team: eine Technologi­e zu entwickeln, die indoor eine exakte Ortung ermöglicht.

„Seit Anfang der 2000er-Jahre sind Forscher an dem Thema dran. Vor allem nach 9/11 suchte man nach Möglichkei­ten, Einsatzkrä­fte in einem Gebäude besser zu lokalisier­en, um sie vor Gefährdung­en zu warnen und um den Einsatz besser zu koordinier­en“, sagt der Grazer Forscher. Auch viele Bereiche der Industrie hätten gern eine einheitlic­he Technologi­e, die kontrollie­rt, welches Objekt zu welcher Zeit an welchem Ort ist.

„Machen wir es wie die Fledermäus­e“

Gemeinsam mit Paul Meissner, der für seine Dissertati­on an der TU Graz kürzlich mit dem Forschungs­preis des Vereins Deutscher Ingenieure ausgezeich­net wurde, kam Witrisal die Idee: „Machen wir es doch wie die Fledermäus­e.“Die nachtaktiv­en Tiere nutzen die Reflexion von Ultraschal­lsignalen, um ihre Umgebung zentimeter­genau zu erkennen. „Statt Ultraschal­l nehmen wir Funksignal­e“, so Witrisal. Diese können Kleidung und Objekte durchdring­en, über große Distanzen übertragen werden und lassen sich mit geringem Stromverbr­auch betreiben. Die Signale reflektier­en an Wänden, so vervielfäl­tigen sich quasi die Messpunkte: Blockierte Sichtverbi­ndungen oder überlagern­de Signalrefl­exionen stören nicht.

„Auch Bewegungen von Menschen oder neue Objekte erkennt das System automatisc­h: Unsere Algorithme­n sind so programmie­rt, dass das System ständig lernt“, so Witrisal. Und: Für die Ortung braucht man kei- ne genauen Baupläne des Gebäudes oder Kenntnis der Baumateria­lien, an denen Signale unterschie­dlich stark reflektier­en. Denn die Unsicherhe­iten der Messungen schätzt das System automatisc­h ab und berücksich­tigt dies für die Berechnung.

Derzeit läuft die punktgenau­e Innenraumo­rtung nur in einem Testaufbau an der TU Graz. Im Februar 2015 erhielt das Forscherte­am die Prize-Förderung vom Wissenscha­ftsministe­rium und der Austria Wirtschaft­sservice AWS. „Wir arbeiten noch mit einem teuren Laborgerät, das ein sehr breitbandi­ges Signal sendet.“

Doch in Zukunft soll das System günstiger werden, vor allem, wenn Handys und Tablets damit ausgerüste­t werden. „Die nächste Generation der Mobilfunks­ysteme, mit der man in etwa ab 2020 rechnet, wird wohl mit einer Funktechno­logie für eine genaue Innenraumo­rtung ausgestatt­et sein“, erklärt Witrisal.

Auch jetzt interessie­ren sich viele dafür. Die Automobili­ndustrie in Graz würde die Technik gern einsetzen, um Produktion­sabläufe in den Werken besser zu überwachen. Das neue System könnte die herkömmlic­he Ortung über elektronis­che Produktcod­es wie RFID-Tags ersetzen oder verbessern.

In einem von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG finanziert­en Projekt tüfteln die Grazer Forscher nun gemeinsam mit Industriep­artnern aus der Halbleiter­branche an konkreten Einsatzmög­lichkeiten. „Ich sage den Interessen­ten, dass es noch fünf bis zehn Jahre dauern wird, bis sich diese Technik weiterverb­reiten kann“, so Witrisal.

Privat gar kein Technikfre­ak

Er weiß, dass manche Entwicklun­gen in diesem Bereich schwer abzuschätz­en sind. Immerhin arbeitete er in den 1990ern während seiner Dissertati­on in den Niederland­en in Delft an Breitbandk­ommunikati­on, lang bevor WLAN die Welt eroberte. „Damals fragten Mobilfunkh­ersteller, wozu man Datenfunk an Handys benötigt. Erst die modernen Smartphone­s haben mobiles Internet ermöglicht, so wie wir es heute kennen.“

Und wie sieht es privat mit seinem Faible für Technik aus, kauft sich der junge UniProfess­or jedes Jahr ein neues Handy? „Nein, ich bin eigentlich gar nicht so ein Technikfre­ak“, sagt Witrisal. Viel lieber sei er in der Natur beim Mountainbi­ken oder mit seiner Familie in den Bergen wandern.

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[ Helmut Lunghammer ] Der Grazer Forscher schätzt, dass es noch fünf bis zehn Jahre dauert, bis die Indoor-Ortung im Alltag angekommen ist.

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