Die Presse

Die Politiker „erschießen“?

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Gegen all das gibt es Protestcam­ps. Vor dem Regierungs­gebäude drehen sich noch Silvesterk­arusselle, bei minus 15 Grad reiten aber keine Kinder auf den Kunststoff­schwänen. Daneben ein paar Hütten und Zelte der neuen Bewegung „Würde und Wahrheit“. In einer heimelig holzbeheiz­ten Hütte finde ich einen Bauarbeite­r und seinen zwölfjähri­gen Sohn, in Stockbette­n liegend. Er habe die Hütte selbst gebaut, sagt er, und verbringe alle Nächte hier. „Würde und Wahrheit“ist inzwischen eine Partei, und sie wird angeblich von zwei nach Deutschlan­d geflohenen Unternehme­rn finanziert, denen Plahotniuc zu Hause die Bank entwendet hat. „Weiß nicht“, sagt der Bauarbeite­r. Dass er ein Taggeld von 15 Euro bekommt, bestreitet er. Der Lohn, den er am Bau verdient, kommt mir überrasche­nd hoch vor. Persönlich findet er, man müsste die Politiker „erschießen“. – „Wie viele?“– „Tausende.“

Ein paar hundert Meter weiter, vor dem Parlament. Um das hoch umzäunte Camp der prorussisc­hen Sozialiste­n patrouilli­eren kräftige Kerle in Tarnfarben. Einer führt mich durch das Camp, ein profession­ell errichtete­s Feldlager aus Großzelten, zum „Kommandant­en“. Der alte Uniformier­te mit grauem Buschschna­uzer taut erst auf, als ich an seiner Haltung errate, dass er die alte sowjetisch­e Offizierss­chule durchlaufe­n hat. Er schildert bewegend den „stillen Horror“auf dem Lande, alte Menschen beginnen zu hungern. Ich sehe dieselbe Forderung wie bei „Würde und Wahrheit“, Direktwahl des Präsidente­n. „Warum protestier­en Sie nicht gemeinsam?“– „Das sind Unionisten.“– „Die haben mir soeben gesagt, dass sie den Anschluss an Rumänien nicht im Programm haben.“Er winkt ab. „Das Land ist klein. Wir wissen, wer sie sind, und sie wissen, wer wir sind.“

Gleich daneben ein drittes Lager. Es wird vom Jungpoliti­ker Renato Usatii unterhalte­n, einem witzigen und wohltätige­n, in Russland zu Geld gekommenen Mafioso. Das Camp ist aus Styropor, und ich glaube, es ist klug von Usatii, dass seine sinister dreinschau­enden Gestalten nicht mit mir sprechen dürfen.

So wie die offizielle Ukraine den blutigen Regimewech­sel von 2014 als „Revolution der Würde“ausgibt, so sprechen mir auch die moldawisch­en Protestcam­per immerzu von „Würde“. Wenn ich ihre Camps als „Maidan“bezeichne, zucken sie aber zusammen. Wie in Kiew will keiner enden.

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