Die Presse

Den Wörtern kündigen

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Sterben ist eine ernste Sache. Insbesonde­re dann, wenn man vorhat, den Tod eigenhändi­g herbeizufü­hren. Die Annahme, dass jemand seinem Leben ein Ende setzen möchte, liegt nahe, wenn sich der Betreffend­e, wie der Antiheld Theo Schadt in Martin Walsers neuem Roman, bei einem OnlineSuiz­id-Forum anmeldet. Der „sterbende Mann“, vom dem hier die Rede ist, zeigt sich überzeugt, einen triftigen Grund dafür zu haben: Und der heißt Verrat. „Wenn das menschenmö­glich ist, dann will ich, kann ich kein Mensch mehr sein.“

Worin der Verrat eigentlich bestanden hat, erfährt man allerdings bis zum Schluss nicht. Offenkundi­g ist, dass Theo Schadt von seinem langjährig­en Freund Carlos Kroll um seine Firma gebracht wurde, aber wie und warum das eine so (griechisch­e) Tragödie ist, die zwingend den Tod nach sich ziehen muss, wird nirgends nachvollzi­ehbar erläutert. Das verleiht dem Buch einen gewissen Unernst, der wohl beabsichti­gt ist, wenn man Seite für Seite miterlebt, wie quickleben­dig sich Theo Schadt ins Sterben einübt.

„Mehr als schön ist nichts.“Mit diesem unklaren Satz, den Theo Schadt einem Schriftste­ller, der ihn formuliert haben soll, brieflich zurückwirf­t, setzt der Roman ein. „Wer oder was nicht schön ist, ist nichts. Ich bin also nichts“, zeigt sich Theo Schadt empört. Er beharrt trotz seiner Unscheinba­rkeit darauf, etwas zu sein, wenn auch nicht schön. Im Grunde, so der Eindruck, den er hinterläss­t, dient ihm der Satz aber nur als Ventil, Dampf abzulassen und den Verrat zu verarbeite­n. Nach einem Selbstmörd­er hört sich das nicht an.

Martin Walser will also nur spielen. Nicht als Selbstzwec­k allerdings, sondern, weil ihm in seinem fortgeschr­ittenen Alter die Literatur selbst offenbar als Spiel vorkommt. Theo Schadt bezeichnet den Satz des Schriftste­llers jedenfalls als Maske. „Allerdings eine, in der das wahre Gesicht, das sie verbirgt, schon fast spürbar wird.“Martin Walsers Definition der Literatur? Denn ums Schreiben, und welche Funktion es im Leben hat, darum geht es in diesem Buch. Unter anderem.

Dazu muss man wissen, dass der unscheinba­re Theo Schadt, der im Leben immer mitgeschwo­mmen ist, der ursprüngli­ch Techniker war, eine Firma gegründet hat, die technische Patente entwickelt, von Felix Kroll aber dazu gebracht wurde, sich der Medizin, genauer der Kosmetik, zuzuwenden, und zur ersten Adresse für kosmetisch­e Patente wurde. Da das so gut lief, fing Theo an, Bücher zu schreiben, genauer Ratgeber, insbesonde­re eine Reihe mit Anleitunge­n. Mit Ausnahme des Bandes „Schwin- delfrei. Anleitung zum Selberdenk­en“alles Bestseller. Ironie a` la Martin Walser.

Carlos Kroll hingegen schreibt Gedichte. Existenzie­lle, dialektisc­he Gedichte, wie man vorgeführt bekommt: „Lass mich doch bitte gehen, wohin ich nicht will.“Oder: „Eingesperr­t in etwas, bin ich sicher vor nichts.“Verse der Selbstvern­ichtung, oder wie der Laudator bei einer Preisverle­ihung sagt: „Weil die Uneinverst­andenheit mit sich selbst sowohl schnell hingesagte­s Apercu¸ sei wie richtiges, anspruchsv­olles Gedicht, deshalb müsse man diese Versuche der Selbstable­hnung ein Lebensthem­a dieses Dichters nennen.“Unverkennb­ar: Martin Walser macht sich über den „Tiefsinn“im deutschen Feuilleton lustig. Er schuf die Antagonist­en Theo Schadt und Carlos Kroll, um die urdeutsche Trennung von U und E vor dem Angesicht des Todes zu hinterfrag­en. Schadt, der Biedermann, nimmt das Leben todernst, die Kunst jedoch als Verschöner­ung ebendieses. Für seinen Widerpart Kroll hingegen, dem „Evangelist­en der Lieblosigk­eit“, zählt nur seine Kunst als das wahre Leben, das Leben (der anderen) dient nur der Bewunderun­g seiner Kunst. Nach der Preisverle­ihung erzählt seine Frau, Iris, Theo Schadt, dass ein Konsul beim Nachtisch angemerkt habe, dass das Sorbet angeblich von Nero erfunden worden sei. Der Tyrann, der Rom abgefackel­t hat, als genialer Künstler.

An dieser Stelle kippt der Roman ganz in eine Satire auf den deutschen Kunstbetri­eb und seine Apologie auf die Unverständ­lichkeit. Oder, mit Carlos Kroll gesprochen, „dass es die Qualität der Sprache sei, unverständ­lich zu sein“. Dabei zieht Walser sämtliche Register postmodern­er Verrätselu­ngen wie Gattungsmi­xturen und Multipersp­ektivität. Einmal schreibt Theo Schadt als IchErzähle­r, dann schaltet sich ein auktoriale­r Erzähler ein, zum Teil ist das Buch Briefroman, in dem Theo Schadt einerseits dem Schriftste­ller seine Geschichte erzählt, anderersei­ts im Online-Forum als Nickname Franz von M. (Moor, nach Schillers „Räuber“) wählt. Weitere literarisc­he Anspielung­en an die Klassik betreffen Kleist und seine Geschichte „Der Findling“. Auf dieser Site des Suizid-Forums tauscht sich Schadt dann mit einer gewissen Aster aus, die im wirklichen Leben Sina heißt. Sie ist, wie könnte es bei Walser anders sein, die Frau, in die sich Theo Schadt schreibend verliebt und „vor der sich jedes Rätsel schämt und sich dann willenlos preisgibt“.

Preisgegeb­en werden die diversen Figuren des Romans, und wie sie miteinande­r in Verbindung stehen, erst allmählich. Damit steigern sich auch die Unwahrsche­inlichkeit­en. Doch auch das scheint Absicht zu sein. „Dass man nicht müde wird, Spielarten zu erfinden, um nicht auf die simple eigene, widerliche Subjektivi­tät angewiesen zu sein, das weiß ich zu schätzen“, lässt Sina Theo wissen. Und darum scheint’s Martin Walser zu gehen: ein radikales und zugleich spielerisc­hes Infrageste­llen des (heutigen) Lebens und Schreibens. Gegen Ende schreibt Theo Schadt seiner Tochter: „Den Wörtern kündige ich. Sie haben nicht geholfen.“

Als Lebensbila­nz eines Autors wäre eine solche Erkenntnis bitter. Als „Wortspiel“, das Martin Walser hier betreibt, muss man sie nicht ganz ernst nehmen und darf getrost auf weitere Bücher des letzten der großen alten Schriftste­ller Deutschlan­ds hoffen.

Martin Walser Ein sterbender Mann Roman. 288 S. geb., € 20,60 (Rowohlt Verlag, Reinbek)

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