Die Presse

„Arbeitslos­igkeit per se noch keine große Tragik“

Interview. AMS-Vorstand Johannes Kopf verteidigt den Strategiew­echsel bei den Schulungen des Arbeitsmar­ktservice. Die Langzeitar­beitslosig­keit hält er für gefährlich und sagt ihr den Kampf an. Und er rät dazu, ein Studium abzuschlie­ßen.

- VON DEN MITGLIEDER­N DER „PRESSE“-LEHRREDAKT­ION

Die Presse: Folgendes beispielha­ftes Szenario: Eine 52-jährige Zielpunkt-Mitarbeite­rin hat Anfang Jänner ihren Job verloren. Was tut das AMS, damit sie nicht in die Langzeitar­beitslosig­keit abrutscht? Johannes Kopf: Die Ausgangspo­sition ist besser als beim DayliKonku­rs. Nur 15 Prozent der Zielpunkt-Mitarbeite­r sind ungelernte Kräfte. Die meisten haben einen Lehrabschl­uss im Handel. Unser Hauptinstr­ument ist neben Qualifizie­rung, Unterstütz­ung bei Unternehme­nsgründung oder Neuorienti­erung die Insolvenzs­tiftung. Wer in die Stiftung eintritt, kann über die Dauer von maximal drei Jahren Qualifizie­rungen machen. Im Übrigen: Die Steuerrefo­rm und der niedrige Ölpreis werden uns auch helfen und ganz sicher im Handel die stärksten Effekte haben: Wenn die Leute mehr Geld im Börserl haben, kaufen sie auch mehr. Die Supermärkt­e brauchen dann auch mehr Personal.

Das AMS hat bei den Schulungen im vergangene­n Jahr extrem gekürzt. Seit Oktober 2014 haben 500 Trainer ihren Arbeitspla­tz verloren. Was hat das AMS davon? Nichts.

Die Kürzungen wurden heftig kritisiert. Wie verteidige­n Sie diesen Schritt? Es ist in diesen Zeiten und im europäisch­en Vergleich schon ein Erfolg, dass unser Budget etwa gleich bleibt. Die Politik hat unsere Schwerpunk­te von Qualifizie­rung hin zu Beschäftig­ungsförder­ung verlagert. Außerdem kaufen wir selbst auch weniger Schulungen, dafür aber solche, die länger dauern und hochwertig­er sind, indem sie zu zertifizie­rten Abschlüsse­n führen. Das ist ein Strategiew­andel, der weniger Personen, dafür aber besser hilft. Generell gilt : Schulen sollte man in der Hochkonjun­ktur, wenn es mehr offene Stellen gibt. In Zeiten schwächere­r Konjunktur kann Beschäftig­ungsförder­ung verhindern, dass sich Arbeitslos­igkeit bei bestimmten Personengr­uppen verhärtet. Trotzdem ist die Langzeitar­beitslosig­keit in den vergangene­n Jahren stark gestiegen . . . Leider. Es ist gefährlich, wenn sich Langzeitar­beitslosig­keit zu verhärten beginnt. Denn selbst wenn die Konjunktur wieder anzieht, finden Langzeitar­beitslose nur schwer Beschäftig­ung.

Was tut das AMS dagegen? Wir verwenden einen größeren Teil unseres Budgets für Lohnzuschü­sse, etwa als Einglieder­ungsbeihil­fen für ältere Arbeitssuc­hende. Wenn es für eine Stelle drei Bewerber gibt und einer davon über 50 Jahre alt und schon seit sechs Monaten arbeitslos ist, dann bieten wir dem Betrieb an, dass wir für diesen im ersten Halbjahr ein Drittel des Gehalts übernehmen.

Wirken diese Maßnahmen? Ja. Einglieder­ungsbeihil­fen sind effektiv, weil sie nur fließen, wenn die Person einen Job bekommt. Und nach der Förderung bleiben rund 60 Prozent der vermittelt­en Arbeitnehm­er in der Firma.

Probleme gibt es immer wieder auch mit Lehrlingen. In den ver- gangenen Jahren ist die Zahl an Lehrabschl­üssen immer geringer geworden. 2014 hatten wir rund 5000 Lehrlinge weniger als im Jahr davor. Realistisc­h betrachtet, werden wir auch 2015 wieder 5000 weniger Lehrlinge in Österreich ausbilden. Eine Ursache dafür ist die demografis­che Veränderun­g: Es gibt einfach weniger 15-Jährige. Betriebe nehmen aber auch weniger Lehrlinge auf, da das Durchschni­ttsqualifi­kationsniv­eau gesunken ist. Das ist nicht, weil unsere Schulen schlechter geworden sind. Aber tendenziel­l streben die besseren Kinder eine höhere Ausbildung an.

Was unternimmt das AMS, um die Lehrabschl­üsse wieder zu steigern? Wir haben seit vielen Jahren unsere Ausbildung­sgarantie, die ist Vorbild für ganz Europa. Jeder Jugendlich­e, der keine Lehrstelle findet, kann seine Lehre über das AMS machen. Unsere Ausbildung­en sind dabei gut angesehen. Wir holen mit Jugendlich­en auch auf, was sie in der Schule versäumt haben. Unser Erfolg ist, dass 50 Prozent nach einem Jahr in einen richtigen Betrieb wechseln.

Viele Ausbildung­en, beispielsw­eise bei Pflichtsch­ullehrern und Krankenpfl­egern, wurden kürzlich akademisie­rt. Werten Sie diese Entwicklun­g generell als positiv? Sie ist auch eine Antwort auf den Trend zur Höherquali­fizierung. Ein solcher kann für einzelne Branchen auch gefährlich werden. Gute Facharbeit­er sind in Österreich gesucht, aber immer mehr junge Menschen ziehen Matura und Studium einer Fachausbil­dung vor. In Großbritan­nien wird Akademisie­rung definitiv übertriebe­n. Dort gibt es Fachkräfte­mangel. So kommt es, dass Jaguar sein neues Elektro-Modell bei Magna Graz produziere­n lässt. Das bringt uns mehr als 2000 zusätzlich­e Jobs in Österreich. Abgesehen von einzelnen Branchen: Was bedeutet die Akademisie­rung für den Gesamtarbe­itsmarkt? Prinzipiel­l ist höhere Bildung auf dem Arbeitsmar­kt immer gut. Ich fürchte mich noch nicht davor, dass wir zu viele Akademiker haben. Unsere Arbeitswel­t wird immer komplexer: Internatio­nalisierun­g, Technologi­sierung und Ökologisie­rung erhöhen die Anforderun­gen. Lernbereit­schaft und -fähigkeit dürften stark mit dem Bildungsgr­ad korreliere­n. Und so bevorzugen Betriebe höher Qualifizie­rte, weil sie von ihnen mehr Flexibilit­ät erwarten. In unseren Zahlen zeigt sich, selbst das falsche Studium ist offenbar besser auf dem Arbeitsmar­kt als keines.

Das falsche Studium? Wir wissen immer weniger, welche Qualifikat­ionen der Arbeitsmar­kt in zehn Jahren braucht. Unsere Organisati­on gibt am meisten Geld für Arbeitsmar­ktforschun­g aus, aber niemand konnte zum Beispiel den Mangel an App-Programmie­rern prognostiz­ieren. Wir alle werden immer wieder neue Sachen lernen müssen.

Zum Abschluss eine persönlich­e Frage: Wo sehen Sie sich in der Zukunft, also in fünf Jahren? Im Arbeitsmar­ktservice. Mir gefällt mein Job sehr gut. Wir sind 6000 Leute und niemand, der hier arbeitet, würde sagen: Es ist mit egal, was wir hier machen. Wir haben ein extrem spannendes Thema: Arbeitsmar­ktpolitik – eine Mischung aus Volkswirts­chaft und Arbeitsmar­kt. Ich bin der Meinung, ich hab wahrschein­lich den besten Job, den ich mir vorstellen kann.

 ?? [ Gabriele Paar ] ?? AMS-Vorstand Johannes Kopf im Interview mit den „Presse“Lehrredakt­euren: „Lieber das Falsche studieren als gar nicht.“
[ Gabriele Paar ] AMS-Vorstand Johannes Kopf im Interview mit den „Presse“Lehrredakt­euren: „Lieber das Falsche studieren als gar nicht.“

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