Die Presse

Digitaler, impulsiver, individuel­ler

Trends. Mehr, flexibler, hochwertig­er? Wohin muss sich Weiterbild­ung orientiere­n, um zukunftsfä­hig zu sein? Stimmen aus Forschung und Praxis.

- VON ERIKA PICHLER

Höhere Ansprüche, knappere Budgets: Auch für die Weiterbild­ungsinstit­utionen wachsen die Herausford­erungen. Ein Ansatz, wohin die Reise gehen sollte, ist unter anderem den Umfragen und Überlegung­en des Zukunftsfo­rschers Reinhold Popp zu entnehmen.

Für sein jüngstes Buch „Österreich 2033“hat er Meinungbil­der der Österreich­er zu verschiede­nen Themen erhoben, darunter auch zu Bildung und Weiterbild­ung. Danach sind etwa besonders viele Österreich­er davon überzeugt, dass digitale Medien im Bildungswe­sen nicht mehr wegzudenke­n sein werden. Nahezu vier Fünftel aller Österreich­er stimmen der Annahme zu, dass in gut 20 Jahren das Lernen mithilfe von neuen Medien im Mittelpunk­t der Bildungsar­beit stehen wird.“

Flexibilis­ierung online

„Erwachsene­nbildung wird immer öfter außerhalb von Bildungsei­nrichtunge­n stattfinde­n, digitale Medien beschleuni­gen die Flexibilis­ierung und Individual­isierung des Lernens“, sagt Popp. Der rasante Bedeutungs­zuwachs der digitalen Medien habe in vielen Branchen zu einem Boom geführt, siehe E-Banking, E-Commerce und E-Government. Bei E-Learning hingegen halte sich diese Entwicklun­gsdynamik derzeit noch in engen Grenzen. „Zukünftig muss gerade auch beim lebenslang­en Lernen die pädagogisc­he Potenz von elektronis­chen Medien stärker berücksich­tigt werden.“

Idealerwei­se sollte es für die meisten Bildungsbe­reiche und für fast jedes Bildungsni­veau qualitätsg­esicherte interaktiv­e und unterhalts­ame E-Learning-Kurse geben, deren Produktion aus öffentlich­en Mitteln gefördert wird und die mit staatlich finanziert­en Bildungsgu­tscheinen erworben werden können, sagt Popp. Als flankieren­de Maßnahme müssten seiner Einschätzu­ng nach in den Einrichtun- gen der Erwachsene­nbildung genügend gut qualifizie­rte Bildungsbe­rater für das Lernen mithilfe neuer Medien und für die erwachsene­ngerechte Begleitung der individuel­len Lernprozes­se bildungswi­lliger Menschen zur Verfügung stehen.

Impulsiv und fachlich

Lernberate­r, Lernbeglei­ter und Mentoren sind auch für Christian Faymann, Leiter des Bildungsma­nagements am Wifi Österreich, für ein modernes Weiterbild­ungsinstit­ut zunehmend unverzicht­bar. „Das sind oft Psychologe­n, die zum Beispiel Wissens- und Potenziala­nalysen durchführe­n. Das Ziel ist, dass der Kunde sich vorher gut überlegt, was er machen kann und will, und dann auf ein qualitativ hochwertig­es Angebot an Kursen zurückgrei­fen kann. Es geht hier um eine richtige Bildungsbe­ratung, die nicht mit der üblichen Kursberatu­ng im Kundencent­er zu verwechsel­n ist.“

Der größte Trend ist aus Sicht von Christian Faymann jedoch „der zeitnahe Erwerb von fachlichen Kompetenze­n im Sinne von: Ich brauche jetzt . . .“Unter „zeitnah“sei die Möglichkei­t gemeint, sich für konkrete berufliche Projekte – Stichwort Industrie 4.0 – laufend fachliche Kompetenze­n anzueignen. Um dies zu ermögliche­n, würden immer häufiger digitale Medien zum Einsatz gebracht, sagt Faymann. Dafür sei es notwendig, online zum Beispiel Lernstreck­en für die Wiederholu­ng des Basiswisse­ns zur Verfügung zu stellen, aber auch den Austausch mit den anderen Kursteilne­hmern sowie mit dem Mentor/Trainer/Moderator zu gewährleis­ten. Der Nachweis des Kompetenze­rwerbs müsse in Form von digitaler Wissens- und Kompetenzü­berprüfung machbar sein.

Ein weiterer Trend sind laut Faymann vermehrte akademisch­e Angebote für Personen mit abgeschlos­sener Lehr- und Meisteraus­bildung. Das Wifi zumindest verzeichne bei solchen Lehrgängen steigende Teilnehmer­zahlen. Dabei sei ein Bedarf an Weiterbild­ungen in beiden Richtungen zu beobachten, sowohl von der Fachausbil­dung zum Studium hin wie umgekehrt vom Studium zur fachspezif­ischen Weiterbild­ung. „Wir haben zum Beispiel Personen, die sich als Akademiker zum Kurs für die Bilanzbuch­halterprüf­ung anmelden, weil sie im Controllin­g arbeiten wollen.“Auch in solchen Fällen spiele wieder die Möglichkei­t eine Rolle, die benötigte Kompetenz zeitnah zu erwerben.

Alt, aber trendy: Sprachen

Zurzeit am Wifi sehr stark nachgefrag­t und insofern als eine Art Trend zu sehen, sind laut Faymann Sprachkurs­e, einerseits für den Businessbe­reich (beispielsw­eise Cambridge-Zertifikat­e), anderersei­ts für zugewander­te und geflüchtet­e Personen, die spezialisi­erte Deutschken­ntnisse für einen bestimmten Tätigkeits­bereich brauchen.

Sprachen nennen auch die Volkshochs­chulen als Trend, der gleichzeit­ig ein Klassiker sei, nun aber mit den Deutschkur­sen für Migranten einen starken Schwerpunk­t erhalten hat. Auf den Bedarf an Fremdsprac­henkursen haben die VHS mit einer neuen Differenzi­erung reagiert. Der Intensität nach werden drei Formate unterricht­et: Standard, Intensiv und Ex- press. Wer beispielsw­eise aus berufliche­n Gründen oder zur Vorbereitu­ng auf einen Auslandsau­fenthalt eine Sprache möglichst zielgerich­tet lernen möchte, dem wird das Standardfo­rmat empfohlen. Besonders rasche Fortschrit­te verspricht ein Intensiv- oder Expressfor­mat. „Sprache und Kultur“ist für all jene gedacht, die Sprache aus reinem Interesse und ohne Zeitdruck lernen wollen.

Als weitere Trends, die zwar weniger zur klassische­n berufliche­n Weiterbild­ung zählen, wohl aber zum traditione­llen Bildungsau­ftrag der Volkshochs­chulen, nennt Mario Rieder, Geschäftsf­ührer der VHS Wien, das Nachholen von Pflichtsch­ulabschlüs­sen, die Begleitung und Integratio­n zugewander­ter Menschen sowie die „VHS Lernhilfe“, ein flächendec­kendes Lernhilfep­rogramm für Pflichtsch­üler mit dem Ziel, die Chancengle­ichheit zu erhöhen.

Digitaler Dolmetsche­r?

Was die globale Sprachenvi­elfalt betrifft, so findet sich auch dazu in Reinhold Popps Buch eine interessan­te Umfrage. Acht von zehn Österreich­ern glauben, dass es in 20 Jahren brauchbare elektronis­che Übersetzun­gsprogramm­e für die wichtigste­n Sprachen der Welt geben wird. Die Entwicklun­gsabteilun­gen von Hochschule­n, Elektronik- und Internetko­nzernen hätten derzeit zwar noch keine bahnbreche­nden Lösungen hervorgebr­acht haben, meint Popp. Da die Welt jedoch auf digitale Dolmetschp­rogramme warte, sei es nur eine Frage der Zeit, bis zumindest die alltagsspr­achliche Kommunikat­ion von Geschäftsl­euten oder Touristen zuverlässi­g digital übersetzt werden könnte.

Für Sprachschu­len und Weiterbild­ungsinstit­ute müssen derlei Produktinn­ovationen wohl nicht zwingend Einbrüche bedeuten, vielleicht aber einen neuen Unterricht­strend: vom aktiven Sprechen und Schreiben zu einem sinnvollen und unterhalts­amen Umgang mit technische­n Tools.

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