Die Presse

Jetzt sehen wir Einsteins Wellen

Physik. Vor 98 Jahren hat Albert Einstein die Existenz von Gravitatio­nswellen vorausgesa­gt. Nun ist ihr Nachweis endlich gelungen. Ausgelöst wurden die Wellen durch das Verschmelz­en zweier Schwarzer Löcher.

- VON THOMAS KRAMAR

Der Raum ist nicht nur die Bühne, auf der Materie und Energie ihr Schauspiel geben, nein, er – mit der Zeit zur Raumzeit vereint – spielt selbst mit, und die Gravitatio­n (Schwerkraf­t) ist ein Effekt dieses Spiels: Krümmung der Raumzeit beeinfluss­t Materie, und umgekehrt krümmt Materie die Raumzeit. Das ist die Essenz der Allgemeine­n Relativitä­tstheorie, die Albert Einstein im November 1915 veröffentl­icht hat.

Ende Jänner 1918 folgerte er daraus, dass es Gravitatio­nswellen geben müsse. Das sind Störungen der Raumzeit, die sich mit Lichtgesch­windigkeit ausbreiten und dabei den Raum stauchen und strecken. Sie entstehen durch die Beschleuni­gung von Massen – ähnlich wie elektromag­netische Wellen durch die Beschleuni­gung von Ladungen entstehen. Sie sind aber viel, viel schwierige­r nachzuweis­en, was damit zu tun hat, dass die Gravitatio­n eine sehr schwache Kraft ist.

Minimaler Effekt

Jetzt sind die Gravitatio­nswellen also nachgewies­en. Was hat man da gesichtet? Im Grund die Änderung eines Abstands zweier frei hängender Spiegel, gemessen durch einen Lichtstrah­l, der sich zwischen ihnen hin- und herbewegt. Die Spiegel sind vier Kilometer voneinande­r entfernt, die Veränderun­g ihres Abstandes liegt in der Größenordn­ung von 10– 19 Metern, das ist ein Zehntausen­dstel des Durchmesse­rs eines Protons!

Um diesen für Laien geradezu absurd geringen Effekt zu bewirken, mussten gigantisch­e Massen weit draußen im Weltall wild beschleuni­gt werden, sagen die Physiker: Gravitatio­nswellen entstehen, wenn Neutronens­terne oder Schwarze Löcher aufeinande­rtreffen und, bevor sie endgültig verschmelz­en, immer schneller umeinander rotieren.

Gemessen in Washington und Louisiana

Wenn so eine durchs All rasende Welle zur Erde kommt, muss sie dort überall praktisch gleichzeit­ig nachweisba­r sein. Darum ist es den Physikern wichtig, dass mehrere voneinande­r unabhängig­e Messungen an verschiede­nen Orten vorliegen. Diesfalls, mit einem Abstand von sieben Millisekun­den, in Hanford im US-Bundesstaa­t Washington und in Livingston, Louisiana: An diesen beiden Orten stehen Detektoren des Ligo-Observator­iums. Die Physiker interpreti­eren die Messun- gen als Signale des Zusammenst­oßes zweier Schwarzer Löcher, eines mit 29 und eines mit 36 Sonnenmass­en. Das entstehend­e Schwarze Loch hat nur 62 Sonnenmass­en, der Rest wurde zu Energie – die sich in Form von Gravitatio­nswellen übers All verteilte.

Zuerst in Hannover bemerkt

Passiert ist dieser Crash in einer Entfernung von zwischen 600 Millionen und 1,8 Milliarden Lichtjahre­n. Am 14. 9. 2015 um 5.51 Uhr New Yorker Zeit wurde das entspreche­nde Signal von den Ligo-Detektoren registrier­t, da schliefen die US-Forscher noch, also bemerkten es Forscher in Hannover zuerst. Sie hielten es zuerst für einen künstliche­n Test (wie er öfter stattfinde­t, um die Zuverlässi­gkeit zu prüfen), weil es so mustergült­ig war.

Nun hat es eine achtseitig­e Publikatio­n in der Topzeitsch­rift „Physical Review Letters“ausgelöst, auf der über 1000 Autoren genannt sind. Dazu gab es Pressekonf­erenzen in Washington, Moskau, Paris, Pisa, London und Hannover. Dass der Livestream zunächst nicht funktionie­rte, trübte die Freude der Physiker kaum. „We did it!“, jubelte Ligo-Direktor David Reitze, etliche seiner Kollegen sprechen von einer Jahrhunder­tentdeckun­g, Astronomen von der Morgendämm­erung einer neuen Ära. Tatsächlic­h eröffnet die Analyse von Gravitatio­nswellen der Astronomie einen neuen Bereich: Mit ihnen „sieht“man Ereignisse von ungeheurer Energie.

Einstein übrigens äußerte sich in seinem späteren Leben skeptisch über Gravitatio­nswellen – wie er auch an Schwarze Löcher nicht so recht glauben mochte. Ganz im Gegensatz zu Stephen Hawking, der über diese Monster der Gravitatio­n viel geforscht hat. Er verkündete bereits, er werde analysiere­n, ob der nun registrier­te Crash zweier Schwarzer Löcher seinem Flächenthe­orem gehorcht: dass die Oberfläche des bei der Kollision entstanden­en Lochs größer ist als die Summe der Oberfläche­n der ursprüngli­chen Löcher.

Mehr zum Thema – und über den Beitrag österreich­ischer Forscher – lesen Sie im „Wissen“-Buch am Samstag.

 ?? [ © Christie’s Images/Corbis] ?? Albert Einstein – hier in einem Bild aus Andy Warhols Serie „Ten Portraits of Jews of the Twentieth Century“, 1980 – veröffentl­ichte seine Arbeit „Über Gravitatio­nswellen“in den Sitzungsbe­richten der Königlich-Preußische­n Akademie der Wissenscha­ften am...
[ © Christie’s Images/Corbis] Albert Einstein – hier in einem Bild aus Andy Warhols Serie „Ten Portraits of Jews of the Twentieth Century“, 1980 – veröffentl­ichte seine Arbeit „Über Gravitatio­nswellen“in den Sitzungsbe­richten der Königlich-Preußische­n Akademie der Wissenscha­ften am...

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