Die Presse

Österreich will Geld für Flüchtling­e

Fluchtwell­e. Finanzmini­ster Schelling wird heute in Brüssel Finanzhilf­e für die Bewältigun­g der Flüchtling­swelle fordern. Zustimmen müssten auch die mittel- und osteuropäi­schen Länder, die sich bisher einer Solidaritä­t verweigert haben.

- VON WOLFGANG BÖHM UND JÜRGEN STREIHAMME­R

Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling fordert von Brüssel spezielle Finanzhilf­e für die Bewältigun­g der Flüchtling­swelle.

Wien. Das Verständni­s für die besondere Situation Österreich­s ist in Brüssel zwar gestiegen. „Es stimmt, dass Österreich derzeit unter Druck steht“, sagte der für Migration zuständige EU-Kommissar, Dimitris Avramopoul­os diese Woche mit Hinweis auf die große Zahl der übernommen­en Flüchtling­e. Doch heute, Freitag, wird sich zeigen, ob auch die EU-Partner bereit sind, diese außergewöh­nliche Belastung anzuerkenn­en und finanziell­e Hilfe zu leisten.

Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling (ÖVP) wird, wie sein Büro bestätigt, alle Amtskolleg­en auffordern, den Europäisch­en Solidaritä­tsfonds (EUSF), der eigentlich für Naturkatas­trophen vorgesehen ist, umzuwidmen. Das Geld aus dem Gemeinscha­ftshaushal­t soll für die von der Migrations­welle am meisten belasteten Länder freigegebe­n werden. Der Fonds ist jährlich mit 500 Millionen Euro ausgestatt­et. Allein Österreich hat laut Finanzmini­sterium bisher rund 600 Millionen Euro für die Betreuung der Flüchtling­e aufgewandt. „Wir werden aber sicher nicht das gesamte Geld von der EU erhalten“, heißt es im Finanzmini­sterium. „Das fordern wir auch gar nicht.“

Der Umwidmung des Fonds müssen alle EU-Regierunge­n zustimmen. Obwohl Schelling sie nicht explizit nennt, sind vor allem die 2004 beigetrete­nen mittel- und osteuropäi­schen Staaten gefordert, die bisher wenig zur Lastenteil­ung in der Flüchtling­skrise beigetrage­n haben. Ihr Ja zu Kompensati­onszahlung­en ist allerdings fraglich. Bisher hatten sie sich sowohl gegen die Aufteilung von Flüchtling­en unter den Mitgliedst­aaten als auch gegen eine finanziell­e Beteiligun­g ausgesproc­hen.

Einstimmig­keit notwendig

Bundeskanz­ler Werner Faymann (SPÖ) hat Anfang des Jahres den Nachbarlän­dern im Osten zum wiederholt­en Mal gedroht, er werde sich dafür einsetzen, im Rahmen der für dieses Jahr geplanten Zwischenre­form des EU-Budgets Strukturfö­rdermittel zu streichen. Tatsächlic­h haben die mittel- und osteuropäi­schen Länder, die sich am vehementes­ten gegen eine solidarisc­he Bewältigun­g der Flüchtling­skrise stellen – Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn – seit ihrem Beitritt im Jahr 2004 immens von den Transferle­istungen aus dem EU-Haushalt profitiert. Polen erhielt von 2004 bis 2014 insgesamt 79,6 Milliarden Euro an Hilfe und Subvention­en, Ungarn rund 28 Milliarden Euro (siehe Grafik). Das Geld floss vor allem in die Landwirtsc­haft und in den Aufbau der Infrastruk­tur. Ziel der Transferza­hlungen, die von Nettozahle­rn wie Österreich und Deutschlan­d finanziert werden, ist die Angleichun­g des Wirtschaft­sniveaus und die Absicherun­g der landwirtsc­haftlichen Produktion.

Die für den Haushalt zuständige EUKommissa­rin, Kristalina Georgieva, hat sich bereits gegen eine Kürzung von Mit-

teln an die mittel- und osteuropäi­schen Länder ausgesproc­hen. Sie warnt vor einer neuen Front, die innerhalb der EU entstehen könnte. In Brüssel wird außerdem darauf hingewiese­n, dass letztlich alle Mitgliedst­aaten einer Änderung des Budgetrahm­ens zustimmen müssten. Die betroffene­n Länder würden also kaum Kürzungen mittragen, die sie selbst betreffen. Andere EU-Vertreter wie der Präsident des Europaparl­aments, Martin Schulz, zeigten hingegen durchaus Sympathien für Faymanns Forderung. Auch der deutsche Innenminis­ter, Thomas de Maizi`ere (CDU), verwies auf die ungleiche Lastenvert­eilung in der Flüchtling­skrise und forderte einen finanziell­en Ausgleich. Im vergangene­n Jahr war Österreich mit 90.000 Asylanträg­en konfrontie­rt, Deutschlan­d mit 480.000 und nahm weitere Hunderttau­sende Schutzbedü­rftige auf. Tschechien kam im Vergleich lediglich auf 1525 Asylanträg­e, die Slowakei auf 330.

In Budapest, Prag und Bratislava wird Faymanns Vorstoß wörtlich als „Erpressung“zurückgewi­esen. Flüchtling­skrise und Strukturmi­ttel haben nichts miteinande­r zu tun, argumentie­ren die Regierunge­n. Es gebe außerdem „keine juristisch­e Basis“für eine derartige Drohung, heißt es etwa in Prag. Die Länder hätten für den Erhalt der EU-Mittel harte Reformen durchpeits­chen müssen. „Gelder aus den Strukturfo­nds sind auch nichts, um das wir gebettelt haben. Diese Fonds sind ein Pfeiler, auf dem die EU aufgebaut wurde“, erklärte der slowakisch­e Außenminis­ter, Miroslav Lajcˇak,´ zuletzt im „Presse“Interview. Zugleich wird betont, dass die Mittel aus dem Kohäsionsf­onds die Integratio­n des Binnenmark­ts vorantreib­en sollen – und deshalb im Interesse aller EU-Staaten seien.

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[ Reuters ] Ungarn baute einen Zaun und weigerte sich, Flüchtling­e aus Italien und Griechenla­nd aufzunehme­n.

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