Die Presse

Die Rolle des Zuchtmeist­ers steht Österreich in Mitteleuro­pa nicht zu

Es ist töricht, EU-Staaten, die keine Flüchtling­e aufnehmen, Finanzkürz­ungen anzudrohen. Österreich schadet sich mit der leeren Erpressung nur selbst.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Wann

immer Politiker, Diplomaten oder Marketingl­eute darüber nachdenken, wie die große weite Welt das kleine Österreich sehen sollte, landen sie bei derselben steinernen Metapher: „Brückenbau­er“wollen die Österreich­er gern sein. Sogar den Song Contest in Wien versahen sie mit dem Motto „Building Bridges“. Daran ist prinzipiel­l nichts auszusetze­n, und völlig abgekoppel­t von der Realität erscheint das Selbstbild auch nicht. Tatsächlic­h hat sich die neutrale Republik wiederholt als Ort der Begegnung angeboten: im Kalten Krieg, jüngst bei den Verhandlun­gen über Irans Atomprogra­mm und auch als Gastgeber von Syrien-Konferenze­n.

Auch in der aktuell brennendst­en Herausford­erung Europas hätte die Bundesregi­erung Gelegenhei­t, vermitteln­d zu wirken. Die EU ist tief gespalten in der Flüchtling­skrise. Während Deutschlan­d, Schweden oder auch Österreich massenhaft Asylwerber aufnehmen, schotten und putzen sich andere ab. Insbesonde­re die neueren EU-Mitglieder Slowakei, Tschechien und Ungarn sträuben sich beharrlich gegen verpflicht­ende Quoten zur Verteilung von Flüchtling­en. Teils tragen die Debatten in Mitteloste­uropa hysterisch­e Züge. Dass in Ländern mit minimalem Ausländera­nteil dermaßen überzogene Ängste vor Überfremdu­ng und dem Islam grassieren, ist rational kaum nachzuvoll­ziehen. Und doch existieren diese Stimmungen in den homogenen postkommun­istischen Gesellscha­ften, und populistis­che Premiers wie Fico in der Slowakei oder Orban´ in Ungarn schüren die Ressentime­nts auch noch.

Die Flüchtling­skrise ist der Höhepunkt einer Entfremdun­g zwischen „altem“und „neuem“Europa. Mit der Weigerung, ihren fairen Anteil an Asylwerber­n aufzunehme­n, haben sich Mitteloste­uropäer den Vorwurf eingehande­lt, unsolidari­sch zu agieren. Anderersei­ts fühlen sie sich überfahren, wollen selbst entscheide­n, wie viele Migranten sie aufnehmen.

Ihre Position untermauer­n die Renegaten mit plausiblen Argumenten: Erstens kann eine Verteilung von Flüchtling­en erst funktionie­ren, wenn sich die Flüchtling­e an EU-Außengrenz­en stoppen und auch verteilen lassen. Zweitens wollen die Flüchtling­e gar nicht in den Osten. Drittens herrscht in der EU Personenfr­eizügigkei­t; auch wenn sie zugeteilt und an soziale Zuwendunge­n örtlich gebunden sind, werden sich Migranten letztlich dort niederlass­en, wo sie sich am meisten erhoffen, notfalls als U-Boote.

Österreich, das sich so gern als Brückenbau­er sieht, hätte versuchen können, auf die mitteloste­uropäische­n Nachbarn zuzugehen. Stattdesse­n drohte Werner Faymann den „unsolidari­schen“EU-Mitglieder­n damit, künftig Gelder aus den EU-Strukturfo­nds zu streichen. Damit stieß er eine Drohung aus, die sich zwar nach starkem Mann im Bundeskanz­leramt anhörte, aber ins Leere ging. Denn einer Änderung des EU-Budgets müssen alle zustimmen. Und kein Staat wird sich selbst bestrafen.

Widersinni­g waren die Drohgebärd­en vor allem aber deshalb, weil es den Interessen Österreich­s widerspric­ht, Partner einer Region zu vergraulen, die für die heimische Wirtschaft essenziell sind. D er Mangel an diplomatis­cher Feinfühlig­keit gegenüber Mitteloste­uropa fügt sich in eine unrühmlich­e Tradition. So erfolgreic­h österreich­ische Unternehme­n im „Osten“nach 1989 auch waren, so viele Chancen ließ Österreich­s Außenpolit­ik liegen. Auch jetzt wieder: Warum bauen Faymann und Außenminis­ter Kurz keine „Brücken“für die Nachbarn?

Sie könnten eine Kontingent­lösung vorschlage­n, die so aussieht: Jedes EULand legt sich darauf fest, wie viele Flüchtling­e es pro Jahr aufnehmen will. Die Asylwerber treffen ihre Wahl zunächst selbst. Wenn allerdings das deutsche Kontingent erschöpft wäre, müssten sie ein anderes Land ankreuzen. Die wegen ihres niedrigen Durchschni­ttseinkomm­ens wenig attraktive­n Staaten kämen erst am Ende oder gar nicht in die Ziehung. Voraussetz­ung dafür wäre jedoch wie bei allen Lösungsans­ätzen, dass die EU an ihrer Außengrenz­e die Kontrolle über den Flüchtling­szuzug gewänne.

Es wird Zeit, dass Österreich versucht, den mitteloste­uropäische­n Nachbarn zuzuhören und ihnen entgegenzu­kommen. Sonst bleiben die „Brücken“nur Metaphern, die ins Nirgendwo führen.

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