Die Presse

Tumult bei Prozess gegen SS-Mann

Deutschlan­d. Der Auschwitz-Wachmann Reinhold H. muss sich wegen Beihilfe zum Mord vor Gericht verantwort­en. Er soll Gefangene in die Gaskammer begleitet haben.

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Detmold/Wien. Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen: Seit dem gestrigen Donnerstag muss sich der Deutsche Reinhold H. im nordrhein-westfälisc­hen Detmold vor Gericht verantwort­en. Von Jänner 1943 bis Mitte Juni 1944 war H. als Wachmann im Konzentrat­ionslager Auschwitz tätig. Während dieser Zeit soll er die Selektion der Gefangenen bewacht und sie auch in die Gaskammer begleitet haben. Daher wirft ihm die Staatsanwa­ltschaft Beihilfe zum Mord vor, und zwar während der sogenannte­n Ungarn-Aktion im Frühsommer 1944.

Dass er als Wachmann in Auschwitz tätig war, hat H. zugegeben, eine Beteiligun­g an den Morden weist er zurück. H. ist einer von insgesamt vier NS-Wächtern, darunter eine Frau, denen derzeit der Prozess gemacht oder vorbereite­t wird. Geboren wurde H. 1921, nach seinem Eintritt in die Hitlerjuge­nd hat er sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet. Als Teil der SS-Totenkopfv­erbände war er Wachmann in Auschwitz. Für den Prozess haben ihm Gutachter eingeschrä­nkte Verhandlun­gsfähigkei­t attestiert, einstweile­n wurden zwölf Verhandlun­gstermine anberaumt.

Novum für deutsche Justiz

Gleich am ersten Verhandlun­gstag kam es zu einem Tumult, als die verurteilt­e Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck den Saal betreten wollte. Beamte mussten sich vor sie stellen, um Übergriffe abzuwehren. Sie verließ das Gericht.

Erst kürzlich wurde Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen während der sogenannte­n Ungarn-Aktion zu vier Jahren Haft verurteilt (nicht rechtskräf­tig). Späte Prozesse wie diese sind ein Novum für die deutsche Justiz, seit im Jahr 2011 John Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord an über 28.000 Menschen verurteilt wurde. Demjanjuk starb während der Revision.

Vor Gericht wurde ihm nicht eine konkrete Tat vorgeworfe­n, wie bei den NS-Prozessen zuvor; stattdesse­n hat die Staatsanwa­ltschaft befunden, dass allein die Mitwirkung, die Komplizens­chaft bei den Massenmord­en, Grund für eine Verurteilu­ng ist. Frühere Ermittlung­en gegen Gröning wurden in den 1980er-Jahren eingestell­t, weil ihm keine konkrete Tat nachgewies­en wurde. (duö)

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