Die Presse

Müssen Sparer den Staat sanieren?

Finanzkris­e. Die hochkochen­de Diskussion um ein Bargeldver­bot hat einen realen Hintergrun­d: Staatsents­chuldung per Negativzin­s funktionie­rt nur, wenn niemand in Bares flüchten kann.

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Dass die Diskussion um die Begrenzung oder Abschaffun­g des Bargelds (siehe Geschichte auf nebenstehe­nder Seite) gerade jetzt derart hochkocht, ist kein Zufall: Die Börsen stürzen ab, ein paar große europäisch­e Banken beginnen bedenklich zu wackeln, Ängste vor einem Wiederauff­lammen der mit Notenbank-Billionen nur mühsam zugeschütt­eten Finanzkris­e (die im Kern ja eine Schuldenkr­ise ist) beginnen wieder um sich zu greifen.

Damit rückt der gefürchtet­e, aber wohl notwendige Reset des Finanzsyst­ems, der seit 2008 nur durch immer stärkere Notenbanki­nterventio­nen verhindert werden konnte, wieder in greifbare Nähe. Dieser Reset wird von den Vermögensb­esitzern – vom Milliardär bis zur Sparbuch-Oma – bezahlt werden. Mit einem kräftigen Vermögensv­erlust. Bargeld ist dabei das einzige Instrument, das den Zugriff auf private Vermögen erschwert, weil man es notfalls unter der Matratze oder im Wandtresor der Kontrolle entziehen kann.

Nicht, dass das besonders neu wäre: Spätestens seit dem Zeitpunkt, zu dem klar wurde, dass das Staatsschu­ldenproble­m der Industriel­änder auf konvention­elle Weise nicht mehr lösbar ist, seit ungefähr 2010 also, wird ernsthaft darüber diskutiert, wie man das Schuldenpr­oblem (allein seit 2010 ist die weltweite Verschuldu­ng um mehr als 50.000 Mrd. Dollar gewachsen) auf Kosten der Vermögensb­esitzer lösen könnte.

Und zwar nicht von Verschwöru­ngstheoret­ikern, sondern von seriösen Institutio­nen. 2011 etwa hat die Boston Consulting Group vorgeschla­gen, die Staatsschu­lden durch eine allgemeine Vermögensa­bgabe (auf Guthaben, Immobilien etc.) wieder auf eine bewältigba­re Größenordn­ung zu bringen. Dazu müssten in den Industriel­ändern im Schnitt 30 Prozent der Vermögen eingezogen werden.

Später sind dann der IWF (zehn Prozent Abgabe), McKinsey, eine Reihe von internatio­nal bekannten Ökonomen und (einge- schränkt auf Krisenländ­er) sogar die Deutsche Bundesbank gefolgt.

Der Grund ist ganz einfach: Die Schuldensi­tuation ist außer Kontrolle. Ein immer größerer Teil der Neuschulde­n dient nur noch dazu, die Zinsen der Altschulde­n zu bedienen. Das ist der direkte Weg in den Finanz- und Schuldencr­ash.

Neuerdings heißt das Instrument der Wahl freilich nicht mehr Vermögensa­bgabe, sondern Negativzin­s. Das hat auf Finanzverm­ögen denselben Effekt wie eine Vermögensa­bgabe, sieht aber nicht so brutal aus. Größere Teile der industrial­isierten Welt (EU, Schweiz, Japan) haben den Negativzin­s schon oder sind nahe daran. Freilich: Dem Negativzin­s entwischt man noch viel leichter als der Vermögensa­bgabe, indem man sein Geld schlicht bar behebt und in den privaten Safe steckt. Profis tun das, ganz nebenbei, schon: Die Schweizer Pensionska­ssen haben im Vorjahr angefangen, Mittel vom Bankkonto in Form von Bargeld in Safes zu transferie­ren, um dem Negativzin­s von 0,75 Prozent zu entgehen. Und sind dabei auf größere Probleme gestoßen: Banken hatten sich geweigert, größere Bargeldbet­räge herauszurü­cken beziehungs­weise haben die Auszahlung stark verzögert – also die jetzt in der EU angedachte Bargeldbeg­renzung schon vorweggeno­mmen.

Wenn also jetzt eine europaweit­e Diskussion über die Begrenzung von Barzahlung­en als Vorstufe zur Bargeldabs­chaffung ins Rollen kommt, dann geht das weit über Schlagwort­e wie „gläserner Bürger“oder „Kampf gegen Steuerhint­erziehung und Geldwäsche“hinaus. Vor allem Letzteres ist Vernebelun­gstaktik: Um kriminelle­s Geld zu „waschen“, braucht man längst kein Bargeld mehr. Die Vorstellun­g, dass Boten von Don Corleone oder Wladimir Oligarchow­itsch sonnenbebr­illt und mit Schlapphut getarnt Geldkoffer über die Schweizer Grenzen schleppen, ist nämlich reichlich naiv. So etwas erledigt man heutzutage per Scheingesc­häften über Scheinfirm­en.

Was der wahre Hintergrun­d ist, hat vor ein paar Tagen der Chef der norwegisch­en DNB ASA enthüllt, als er begründete, wieso die größte norwegisch­e Bank das Bargeldhan­dling demnächst komplett abschaffen werde: „60 Prozent des Geldes in Norwegen sind außerhalb unserer Kontrolle.“Es werde zum Teil „unter der Matratze gebunkert“. Genau darum geht es: Die Kontrolle über das private Geldvermög­en, um im Ernstfall ganz unbürokrat­isch zugreifen zu können.

Mit einem durchaus erwünschte­n konjunktur­ellen Nebenffekt, wie die bekannten US-Ökonomen Larry Summers und Kenneth Ro- goff – ebenfalls große Befürworte­r der Bargeldabs­chaffung – neulich angemerkt haben: Mit hohen Negativzin­sen könnten Konsumente­n dazu gezwungen werden, ihr Geld in den Konsum zu pumpen, statt es zu horten. Sie hätten dann ja nur die Wahl, ihrem Vermögen beim Abschmelze­n zuzusehen – oder sich etwas zu vergönnen.

Auch das funktionie­rt freilich nur, wenn man mittels Bargeldver­bots verhindert, dass die Sparer den dritten möglichen Weg wählen: die Hortung von Bargeld in privaten Verstecken.

Das Umfeld sieht derzeit nicht gut aus: Den Notenbanke­n ist es nicht gelungen, die Krise mit Nullzinsen in den Griff zu bekommen. Es bleibt ihnen nur noch die Kapitulati­on – oder der Versuch, mit immer höheren Negativzin­sen die Wende zu erzwingen.

Ein komplettes Bargeldver­bot zur Absicherun­g dieser Strategie ist zumindest in Deutschlan­d, der Schweiz und Österreich auf absehbare Zeit unrealisti­sch. Aber auf drastische Einschränk­ungen der Bargeldzah­lung (wie sie übrigens in elf europäisch­en Ländern schon existieren) werden wir uns wohl einstellen müssen. Denn die Rechnung für die außer Kontrolle geratene Staatsssch­uldensitua­tion wird man uns auf jeden Fall präsentier­en. So oder so.

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VON JOSEF URSCHITZ

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