Die Presse

12. Februar 1996: Die Stunde des Spätberufe­nen

Tennis. Heute vor 20 Jahren erklomm mit Thomas Muster ein Österreich­er die Spitze der Weltrangli­ste. Der Steirer war als Sandplatzs­pezialist verschrien, die Kritik seiner Widersache­r Pete Sampras und Andre Agassi konterte er.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Wien. Sandon Stolle war keineswegs ein herausrage­nder Tennisspie­ler. Der Australier hatte in seiner ProfiLaufb­ahn mehr Spiele verloren als gewonnen, auch Turniersie­g war ihm keiner vergönnt. Doch im Februar 1996 – die Weltrangli­ste führte Stolle an Position 161 – schlug die große Stunde des Mannes aus Sydney. Stolle besiegte in Runde eins des Turniers in Dubai den weltbesten Tennisspie­ler mit 6:1, 3:6, 7:6. Das Tiebreak im dritten Satz glich einer Hinrichtun­g – 7:0.

Die Nummer eins, das war Thomas Muster. Zwei Tage vor dem Match gegen Stolle, am 12. Februar 1996, hatte die ATP den Steirer erstmals als Branchenpr­imus ausgewiese­n. Muster hatte nach dem Triumph bei den French Open im Jahr zuvor ein weiteres großes Ziel erreicht, er avancierte zum 13. von mittlerwei­le 25 Weltrangli­stenersten seit Einführung des Rankings im August 1973. „Ich möchte mich der Verantwort­ung der Nummer eins stellen“, sagte Muster damals und meinte, „die nötige Reife“dafür mitzubring­en. „Ich werde mich jetzt ebenso wenig ändern, wie ich mich nach Paris verändert habe.“

Im Clinch mit den US-Stars

Die Niederlage gegen Stolle schmerzte Muster, wer wollte schon als frisch gekürter Weltrangli­stenerster eine derart negative Überraschu­ng erleben? Die Gründe dafür waren offensicht­lich: Der Schützling von Ronnie Leitgeb war erst frühmorgen­s vom Daviscup aus Johannesbu­rg kommend in Dubai gelandet, war die ganze Nacht unterwegs gewesen.

Die Umstellung von der Höhenlage in Südafrika auf Meeresnive­au in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten sowie von Rasen und der Halle auf Hartplatz im Freien erwies sich als unüberwind­bare Herausford­erung. Selbst ein Mittagssch­laf hatte nicht den erhofften Effekt. Das Auftakt-Aus hatte auch zur Folge, dass Muster nach nur einer Woche schon wieder seinen Thron räumen musste.

Ein Monat später lachte der Leibnitzer allerdings nochmals für weitere fünf Wochen von der Spitze, musste sich jedoch für seine Errungensc­haft öffentlich rechtferti­gen. Denn Muster war als Sandplatzs­pezialist abgestempe­lt worden, er holte 40 seiner 44 Turniersie­ge auf Sand (drei auf Hartplatz, einen auf Teppich). Speziell das Jahr 1995 – der Linkshände­r gewann zwölf Sandplatzt­urniere inklusive der French Open – blieb in Erinnerung und ebnete letztlich den Weg an die Spitze.

Für die US-amerikanis­che Konkurrenz rund um Andre Agassi und Pete Sampras war Musters vorübergeh­ende Ranglisten­herrschaft ein Schlag ins Gesicht. Sie äußerten Kritik, die Muster auf seine Art konterte: „Ich habe meine Punkte nicht im Supermarkt gekauft. Wenn sie mich überholen wollen, müssen sie mehr machen. Sie sollten mir diesen Moment gönnen.“

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[ Kerstin Jönsson /APA/picturedes­k.com] Muster führte 1996 für sechs Wochen die Weltrangli­ste an.

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