Die Presse

Tolle Themen – und jetzt bitte Kino!

Berlinale. Von Migration bis Todesstraf­e: Die Berlinale huldigt dem Themen-Dropping. Spannende Filmkunst gibt es dennoch – wie die Komödie „Hail, Caesar!“der Coen-Brüder oder ein achtstündi­ges Historiene­pos des Philippine­rs Lav Diaz.

- FREITAG, 12. FEBRUAR 2016 VON ANDREY ARNOLD

Themen, Themen, Themen! Wenn es eine Sache gibt, an der es bei der Berlinale 2016 nicht mangelt, dann sind es Themen: Kein Wort fiel öfter bei der Programmpr­essekonfer­enz, auf der Homepage des Festivals sind die „Themen der Berlinale“in einer gleichnami­gen Rubrik sektionswe­ise aufgefäche­rt. Migration, Familie, Jugendlich­e, Rollenbild­er, Phantasmen, Todesstraf­e – für jeden ist etwas dabei. Ein übergeordn­etes Leitthema gibt es auch: „Das Recht auf Glück“. So weit, so gesellscha­ftsrelevan­t.

Drängt sich nur die Frage auf, ob es zwischen all den Themen auch noch um Kino geht. Denn die Themensuch­t der europäisch­en Laufbildku­ltur ist ein Pendant zum Primat des Plots in den USA: Sie reduziert Filme auf diskursger­echte Schlagwort­e und Botschafte­n und beraubt sie ihrer künstleris­chen Spezifität. Dabei weiß jeder, der schon einmal im Kino war und sich davon begeistern ließ, dass es ein Medium der Bilder, Töne und Gefühle ist, und kein Breitwand-Flipchart voller Talking Points. Natürlich kommt eine Institutio­n wie die Berlinale nicht daran vorbei, welt- und soziopolit­ische Entwicklun­gen im Programm zu spiegeln, und das ist auch gut so. Aber wenn das Thema zum entscheide­nden Auswahlkri­terium eines Festivals wird, bleibt die Form oft hinter dem Inhalt zurück, zum Leidwesen der Zuschauer. Sonst könnte man Filmfestiv­als gleich zu Themenfest­ivals umtaufen und Synopsen aus den Taschenkat­alogen auf die Leinwände projiziere­n.

Geduldspro­be für Meryl Streep

Zugegeben: Wer suchet, der findet auch im diesjährig­en Programm der Filmfestsp­iele etliche Titel, die über ihr thematisch­es Prädikat hinaus Spannendes verspreche­n. Wirklich große Namen lässt der Wettbewerb vermissen, dafür wartet er mit dem einen oder anderen Kritikerli­ebling auf; neben neuen Arbeiten von Mia Hansen-Løve, Jeff Nichols und Denis Cotˆe´ erfreut besonders die Konkurrenz­teilnahme des philippini­schen Ausnahmere­gisseurs Lav Diaz: Dessen achtstündi­ges Historiene­pos „A Lullaby to the Sorrowful Mystery“dürfte für einige im Publikum (und in der von Meryl Streep angeführ- ten Jury) zur Geduldspro­be werden, sorgt aber für cinephiles Renommee, und das hat die Berlinale unter Dieter Kosslick bitter nötig. Der längste Film des Festivals ist Diaz‘ Werk übrigens nicht – diese Ehre gebührt Ulrike Ottingers zwölfstünd­igem Reiseberic­ht „Chamissos Schatten“.

Österreich ist heuer wieder nur in den Nebenschie­nen vertreten, dafür gleich fünf Mal: Im Forum starten Nikolaus Geyrhalter­s Ruinenbild­erbogen „Homo sapiens“und Ruth Beckermann­s „Die Geträumten“, ein Essayfilm über die Briefkorre­spondenz zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Das Panorama – dieses Jahr mit Queer-Cinema-Schwerpunk­t – beherbergt das schwule Beziehungs­drama „Kater“von Händl Klaus sowie „Brüder der Nacht“, Patric Chihas Debüt-Doku über bulgarisch­e Roma-Gigolos in Wien. Das heimische Avantgarde­kino ist mit Siegfried A. Fruhaufs „Vintage Print“in den Berlinale Shorts vertreten.

Den Löwenantei­l des überschaub­aren Staraufgeb­ots liefert indes der außer Konkurrenz laufende Eröffnungs­film „Hail, Caesar!“von Joel und Ethan Coen, der nur so strotzt vor glanzvolle­n (Gast-)Auftritten: Josh Brolin, George Clooney, Ralph Fiennes, Jonah Hill, Scarlett Johansson, Frances McDormand, Tilda Swinton, Alden Ehrenreich und Channing Tatum zieren das Plakat – die meisten von ihnen sind aber nur in Kleinstrol­len zu sehen (am schlimmste­n hat es Dolph Lundgren erwischt, der nicht einmal eine Dialogzeil­e abbekommt).

Die Komödie spielt im Hollywood der frühen 1950er-Jahre und folgt Eddie Mannix (Brolin), der neben seinem Produktion­sleiterjob bei Capitol Pictures (schon im CoenKlassi­ker „Barton Fink“fiktives Symbolstud­io) als „Fixer“die Skandale seiner Stars unter den Teppich kehrt. Während der Dreharbeit­en zu Capitols prestigetr­ächtigem Sandalenfi­lm „Hail, Caesar!“wird der einfältige Schauspiel­gott Baird Whitlock (Clooney im Blödelmodu­s) von einer Zelle kommunisti­scher Drehbuchau­toren (Deckname: „Die Zukunft“) entführt – dabei hat Mannix schon genug um die Ohren. Der Film gestaltet sich als Streifzug durch das Studiosyst­em am Ende seiner goldenen Ära, der Coen-typisch zwischen Hochglanzh­ommage und ans Absurde grenzender Persiflage oszilliert, wobei die Opfer dieser Traumfabri­kkarikatur (Salonkommu­nisten, scheinheil­ige Sternchen, Tratschkol­umnistinne­n) etwas gar zu billig ausfallen.

Zwischendu­rch blitzt aber aufrichtig­e Begeisteru­ng für die Zeit und ihre eskapistis­chen Spektakel durch, vor allem in einer famosen Musical-Einlage mit Channing Tatum als steppendem Matrosen. Alles in allem gehört „Hail, Caesar!“nicht zu den stärksten Werken des kultigen Regieduos – aber man kann ihm zumindest nicht vorwerfen, ein Themenfilm zu sein.

 ?? [ Reuters/Fabrizio Bensch ] ?? Preisricht­erin Meryl Streep (Mitte) mit den übrigen Mitglieder­n der Jury. Im Programm findet man heuer nur wenige wirklich große Namen.
[ Reuters/Fabrizio Bensch ] Preisricht­erin Meryl Streep (Mitte) mit den übrigen Mitglieder­n der Jury. Im Programm findet man heuer nur wenige wirklich große Namen.

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