Die Presse

„Die Flüchtling­e überforder­n die Menschen“

Medien. In Ägypten kennt ihn jeder. In Deutschlan­d bald auch: Constantin Schreiber erklärt Flüchtling­en auf Arabisch die Deutschen und den Deutschen den Syrien-Krieg oder das Schicksal des inhaftiert­en Bloggers Raif Badawi. Ein Gespräch.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Wie ein Musterschü­ler steht er da, die Haare so ordentlich gelegt wie frisch vom Friseur, und spricht in fließendem Arabisch über Sitten, Gebräuche und das Leben in Deutschlan­d. Dass die Menschen Alkohol trinken, Frauen arbeiten gehen. Und zu Weihnachte­n trägt Constantin Schreiber seinen Zuschauern übersetzte Weihnachts­gedichte vor . . .

Nur wenige Minuten sind seine Erklärstüc­ke lang, die er auf ntv.de veröffentl­icht und die mittlerwei­le als Unterricht­smaterial verwendet werden. Auch eine TV-Ausgabe gab es schon. Mit „Marhaba – Ankommen in Deutschlan­d“hat Schreiber einen Nerv getroffen, erzählt er der „Presse“: „Das ging von null auf hundert.“Am 10. 3. erscheint sein neues Buch bei Hoffmann und Campe: In „Marhaba, Flüchtling!“(„Willkommen!“) erklärt er, wie Deutschlan­d tickt und wo die Unterschie­de zur arabischen Welt liegen – vom Essen über die Religion bis zur Politik. Das Buch ist zweisprach­ig, richtet sich an beide Seiten: Neuankömml­inge wie Gastgeber. Den Flüchtling­en liest Schreiber schon einmal die Leviten, indem er ihnen in Video Nummer zwölf erklärt, dass die Vorkommnis­se von der Silvestern­acht in Köln nicht akzeptabel sind: „Auf gar keinen Fall sind Frauen ,Schlampen‘, weil sie sich klei- den, wie es ihnen gefällt.“Den Deutschen erklärt er den Syrien-Krieg in Talkshows oder geißelt Menschenre­chtsverlet­zungen in Saudiarabi­en und das Schweigen der deutschen Regierung dazu in seinen Kommentare­n.

Besonders nah ging ihm das Schicksal des inhaftiert­en saudischen Bloggers Raif Badawi. Schreiber hat dessen Buch „1000 Peitschenh­iebe“(Ullstein) herausgege­ben. „Früher war es möglich, mit ihm in Kon- takt zu treten, gelegentli­ch wurden ihm Telefonges­präche mit seiner Frau gestattet“, erzählt er. Im Jänner hieß es, Badawi sei in Lebensgefa­hr. Wie es genau um ihn steht, weiß nicht einmal seine Familie. „Inzwischen ist kein Kontakt mehr möglich. Raif war im Hungerstre­ik, wurde in ein anderes Gefängnis verlegt. Die Informatio­nen sind spärlich und irritieren­d.“Badawis Frau wollte den Fall in die Öffentlich­keit bringen, um ihn vor den Auspeitsch­ungen zu schützen. „Aber es ist jetzt auch schwierige­r, ihn freizulass­en“, glaubt Schreiber: „Es würde das Bild von Saudiarabi­en schädigen, wenn er mit seiner Geschichte in Talkshows geht.“

„Syrien war wie heute Nordkorea“

Schreiber kann sich locker zwischen beiden Welten bewegen: Als Jugendlich­er war er oft in Syrien, lernte die Sprache. „Wir hatten Freunde dort, die ich häufig besucht habe. Ich war in den 1990er-Jahren in Damaskus, Latakia, Tartus – noch bevor die ersten Touristen dorthin gekommen sind.“Wie er das Land erlebt hat? „Ich würde es mit dem heutigen Nordkorea vergleiche­n – eine Diktatur mit kaum Kontakt nach außen. Man konnte aber in den Libanon fahren, der war liberal, da gab es Nachtleben und Unterhaltu­ng – das war wie ein Leben auf einem anderen Stern.“Heute fährt Schreiber nicht mehr nach Syrien, hält nur über Facebook und Skype Kontakt. „Ich möchte das Land so in Erinnerung behalten, wie es war – nicht in Schutt und Asche. Das tut mir in der Seele weh.“

Früher arbeitete er als Reporter im Libanon, eine Zeit lang war er Nahost-Berater des Auswärtige­n Amts. Heute berichtet er als Politikrep­orter für RTL aus Berlin. In Ägypten kennt ihn jeder, weil er eine populäre Wissenscha­ftssendung bei ONtv präsentier­t. Wenn man ihn fragt, in welcher Welt er sich daheim fühlt, bekommt man eine klare Antwort: „Ich bin durch und durch preußisch. Meine Heimat ist Berlin. Ich habe keinen Migrations­hintergrun­d, meine Familie wurde durch den Zweiten Weltkrieg, durch Flucht und Vertreibun­g geprägt.“Er denkt völkerverb­indend – aber das will nicht jeder hören. „Es gibt nicht nur positive Reaktionen auf ,Marhaba‘“, erzählt er: „Vor allem am Anfang wurde geschimpft, ich würde die Islamisier­ung vorbereite­n. Einer schrieb sogar: Hilfe, mein Bombengürt­el lässt mich fett aussehen!“Ob er die Angst der Leute vor den Flüchtling­en verstehen kann? „Absolut. Es gibt Spannungen, Gefahren, die ein Zuzug von so vielen Menschen mit sich bringt. Die Flüchtling­e überforder­n die Menschen – und das ist brandgefäh­rlich. Das war ja auch meine Motivation, diese Sendung zu machen.“

 ?? [ ntv.de ] ?? Constantin Schreiber bei Dreharbeit­en für „Marhaba“in Merseburg in Sachsen-Anhalt.
[ ntv.de ] Constantin Schreiber bei Dreharbeit­en für „Marhaba“in Merseburg in Sachsen-Anhalt.

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