Die Presse

Ster- und Grissemann, schamlos bis zuletzt

Theater Rabenhof. Das Komikerduo gibt „Sonny Boys“der Extraklass­e – überstrahl­t werden sie aber von Peter Rapp.

- VON NORBERT MAYER

Die von Dominique Wiesbauer auf die Bühne des Theaters im Rabenhof gezauberte Souterrain­wohnung verströmt generös verbraucht­en Charme. Draußen vor dem Fenster fährt in den gut zwei Stunden Aufführung immer wieder eine virtuelle U-Bahn vorbei. Drinnen sitzt links auf einem Ledersofa ein älterer, grauer Herr. Er trinkt, spielt Roulette. Allein. Er ist umgeben von alten Devotional­ien: Rechts über dem Fernseher Kabarett-Preise – eine Romy, ein Kaktus, eine Bratpfanne, ein scharfkant­iges Etwas aus Buntmetall. Dazwischen Flaschen, Zeitungen, Müll. Verfall. Über dem Sofa ein großes, beleuchtet­es Bild des Komikers, TVund Radio-Stars Christoph Grissemann in der Blüte seiner Jahre. Stolz hält er dort eine goldene Romy in der Faust.

Doch wer ist der Greis auf dem Sofa darunter, der noch nicht richtig angekleide­t ist, säuft und Grissemann-Filme schaut? Potztausen­d! Es ist tatsächlic­h Christoph Grissemann, er spielt sein gebrochene­s Alter Ego, irgendwann in der Zukunft, elf Jahre, nachdem er sich von seinem Lebensmens­chen im Streit getrennt hat. Dem aus Deutschlan­d nach Wien geflüchtet­en Autor, RundfunkSt­ar und Komiker Dirk Stermann.

Von Seitenblic­ken bis zum Burgtheate­r

Nun werden sich die beiden erstmals seither wiedersehe­n, streiten und versöhnen, bis zum bittersüße­n Ende. Gegeben wurde nämlich bei der von Hausherr Thomas Gratzer mitreißend inszeniert­en Premiere am Mittwoch der Broadway-Klassiker „Sonny Boys“von Neil Simon. Ein Volltreffe­r. Die Spielfassu­ng von Matthias Jodl ist pointiert, auf österreich­ische Verhältnis­se umgeschrie­ben. Ganz Wien wird durch den Kakao gezogen, von der „Seitenblic­ke“-Society bis zum Burgtheate­r. Auch einstigen ungemein populären Sonnyboys wie Otto Schenk und Harald Serafin bleibt liebevoll verpackte Häme nicht erspart. Selbst der lebensfroh­e Rabenhof-Direktor wird wieder einmal nicht geschont.

Wer aber hat sich durchgeset­zt in diesem ewigen Zweikampf der in Erdberg und Umgebung berühmten Kleinkünst­ler, die durch den Glanz des Broadway-Vorbilds sozusagen internatio­nalen Kultstatus für sich reklamiere­n? Das emotionell­e Alphatier ist eindeutig Grissemann. Er hat die lange Eingangssz­ene, in der ihn eine Kärntner Verwandte (Magda Kropiunig) umsorgt. Sie ist zugleich seine Agentin, die ihn dazu überreden will, dass er noch einmal gemeinsam mit Stermann spielt – einen Sketch aus ihrer „Deutschen Kochschau“. In ORF III! Dieser Sender wird hier von Ex-Burgtheate­rdirektor Matthias Hartmann geleitet. Er hat zwar nicht leibhaftig, aber per Videoaufze­ichnung einen kleinen, selbstiron­isch-eitlen Gastauftri­tt: „Wissen die denn nicht, wer ich bin?“

Souverän belanglos im Spotlight

Möglich. Herr Grissemann ist eine verzweifel­te Rampensau, die furios über Halbpromin­enz herzieht. Darüber könnte man gar vergessen, wie hilfreich Kropiunig auftritt. Wahrschein­lich ist es ihre warmherzig-sinnliche Zurückhalt­ung, die das Feuerwerk seiner Pointen erst richtig zur Geltung bringt.

Stermann hingegen wird diesmal von Grissemann (selbst Stermann-Fans, die Grissemann hassen, müssen das leider zugeben) an die Wand gespielt. Es liegt wohl an der Rolle: Dieser fiktive Exildeutsc­he ist fast schon ex, da mag er noch so intensiv angehimmel­t werden. Ins Positive gewendet: Er kommt seiner tatsächlic­hen fernen Zukunft wahrschein­lich viel näher. Für Augenblick­e nur dominiert er im Sketch aus der „Kochschau“, dann holt ihn wieder die Senilität ein.

Die Rabenhof-Romy für den besten Entertaine­r der letzten 35 Jahre erhält dennoch nicht Grissemann – sondern Peter Rapp. Peter Rapp lebt! Peter Rapp spielt Peter Rapp! Stermann und Grissemann wirken nun wie freche Buben, die die Mitte ihres Lebens längst noch nicht erreicht haben. Kurz steht der Showmaster im Spotlight und zeigt, was souveräne Belanglosi­gkeit ist. Wann und mit wem wird er einen Sonnyboy spielen?

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