Die Presse

Russische Seele, diesmal im Musikverei­n

El¯ına Garanˇca hinterließ bei ihrem Liederaben­d mit Rachmanino­wRomanzen den tiefsten Eindruck.

- VON WALTER WEIDRINGER

„Sing nicht, du Schöne“, fleht das lyrische Ich in jenem Puschkin-Gedicht, das der erst 19-jährige Sergej Rachmanino­w als vierte der sechs Romanzen op. 4 veröffentl­icht hat, „sing nicht die wehmütigen Gesänge Georgiens.“Da suhlt sich die russische Seele in Heimweh nach einem früheren, verlorenen Leben. Eine sanft gekräuselt­e Melodie sinkt im Klavier langsam nieder, die Singstimme nimmt sie bald als schwebende­s Melisma auf, alles über einem pochenden Bass, Herzschlag und Unerbittli­chkeit zugleich.

Bei El¯ına Garanca,ˇ nachsinnen­d ans Klavier gelehnt, klingt die Szene wie in Mondlicht getaucht – konzentrie­rt und dunkel, aber doch mit exakt gezogenen Konturen. Und selbst wenn sich die Deklamatio­n im Mittelteil zu einem dramatisch­en Ausbruch verdichtet, dann ist auch dieser Klagelaut aus ihrer Kehle noch nobel eingefasst. Das Nachspiel, von Malcolm Martineau mit delikater Herbheit vorgetrage­n, schwankt gramvoll zwischen Dur und Moll – wobei natürlich Moll in einem Arpeggio das letzte Wort behält.

Ja, die Schöne sang – und gerade im letzten Programmte­il mit acht ausgewählt­en, durchwegs Romanzen genannten Liedern Rachmanino­ws hinterließ Garancaˇ an diesem Abend den stärksten Eindruck. Bei diesen spätromant­ischen Aufwallung­en und melancholi­schen Zwischentö­nen, den wie auf klangliche­m Goldbrokat ausgebreit­eten Seelenzust­änden und -entblößung­en schien sie ganz zu sich selbst gekommen: Hier blühte ihr kostbarer Mezzosopra­n zu heller, doch voluminöse­r Fülle auf – fulminant etwa die Steigerung­en in „Sie antwortete­n“(op. 21/4) und „Ich warte auf dich“(op. 14/1).

Etwas unausgegli­chen bei Brahms

Ein bisschen warten musste auch das Publikum bis zu diesen Gipfelstür­men: Die erste Hälfte des Abends mit 14 Liedern von Brahms geriet auf hohem Niveau merkwürdig unausgegli­chen. Gewiss gelangen ihr auch da schon samtene, balsamisch­e Phrasen, traf sie etwa in „Alte Liebe“oder „Es träumte mir“die Stimmung genau. Aber zwischendu­rch störte ihr gar nicht notwendige­s Bemühen um satte, voluminöse Töne sowohl die saubere Intonation als auch die klare Aussprache des Textes: Vokalverfä­rbungen und mit zu viel Gewicht formuliert­e, prompt etwas zu tief rutschende Phrasen trübten das Vergnügen, am stärksten vielleicht in „Heimweh II“. Drei Duparc-Lieder ebneten nach der Pause den Weg zum russischen Höhepunkt: Nach der ausgewogen vorgetrage­nen Szene von „Au pays ou` se fait la guerre“durfte man sich in „Extase“aufs Schönste einlullen lassen und in „Phidyle“´ den hell strahlende­n Schluss genießen. Malcolm Martineau, ganz Gentleman am Klavier, erwies sich als flexible Mischung aus diskreter Stütze, Stichwortg­eber und musikalisc­hem Widerpart.

Aber: Brahms, Duparc, Rachmanino­w? Ja, eine Garancaˇ kann sich offenbar erlauben, nun im Musikverei­n exakt dasselbe Programm zu singen wie im April 2015 bei ihrem Solistenko­nzert in der Staatsoper: Das Publikum im ausverkauf­ten Saal erjubelte sich drei Zugaben.

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