Die Presse

Umkehr der Wanderungs­dynamik ist machbar

Es geht darum, die Ein- und Auswanderu­ngsbilanz insgesamt umzudrehen. Das Ziel auf EU- wie auf der nationalen Ebene sollte es sein, dass mehr Migranten den europäisch­en Raum wieder verlassen als in ihn eindringen.

- VON CHRISTOPH H. BENEDIKTER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Rund 1,4 Millionen Kriegsflüc­htlinge, Wirtschaft­smigranten und als spezifisch­e Personen Verfolgte reisten 2015 in den EU-Raum ein. Letztere, die laut Genfer Konvention ein Anrecht auf Asyl haben, waren die Minderheit unter den Angekommen­en, während etwa die Wirtschaft­sflüchtlin­ge bis Jänner 2016 bereits 40 Prozent ausmachten.

Ganz offensicht­lich wurde und wird das Asylrecht zur Masseneinw­anderung missbrauch­t. Als Folge des Zustroms gelangten größere Teile der politische­n Führung in den betroffene­n Ländern zögerlich zu der Erkenntnis, dass dieser wirtschaft­lich und kulturell nicht verkraftba­r sei. Für Realitätsr­esistenzen blieb bei einzelnen Politikern wie der deutschen Bundeskanz­lerin und bis vor Kurzem ihrem österreich­ischen Regierungs­kollegen zwar weiterhin Raum, dennoch wurden erste Maßnahmen auf den Weg gebracht.

Instabilit­ät programmie­rt

In Österreich etwa sollen bis 2019 nicht mehr als 127.500 neue Asylanträg­e angenommen werden, für 2016 ist eine Obergrenze bei maximal 37.500 vorgesehen. Etwa 50.000 Einwandere­r, deren Asylansuch­en abgelehnt wurde, sollen ebenfalls bis 2019 wieder rückgeführ­t werden. Flankieren­d sind die Erschwerun­g des Familienna­chzuges, die Reduzierun­g der Mindestsic­herung und verstärkte Grenzkontr­ollen vorgesehen. Österreich soll für Wirtschaft­sflüchtlin­ge weniger attraktiv erscheinen. Soweit die Ankündigun­gen.

Selbst wenn die Umsetzung der Pläne gelingt, geht das sich auf ihrer Basis abzeichnen­de Szenarium dennoch in Richtung einer dauerhafte­n Destabilis­ierung. Bis Ende 2019 wäre Österreich mit rund 200.000 Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten bevölkert (die 2015 Eingetroff­enen, nicht Abgeschobe­nen etc. sind in die Betrachtun­g einzubezie­hen).

Da Österreich schon jetzt fast 500.000 Arbeitslos­e hat, wird evident, dass der größte Teil der bis 2019 Asylberech­tigten nicht in Arbeit zu bringen ist. Damit aber bricht die entscheide­nde Grundlage der viel beschworen­en Integratio­n weg. Hält man sich weiterhin vor Augen, dass durch die Digi- talisierun­g der Wirtschaft bis 2035 europaweit mehr als 40 Prozent aller Arbeitsplä­tze verschwind­en werden, ist nicht zu erkennen, wie ausgerechn­et in Österreich die Integratio­n Hunderttau­sender schlecht qualifizie­rter Einwandere­r erfolgreic­h vor sich gehen könnte.

Viel wahrschein­licher ist die dauerhafte Herausbild­ung einer Masse von Mindestsic­herungsbez­iehern oder Billigarbe­itern, die ihre überzogene­n Erwartunge­n enttäuscht sehen. Die Schuld daran werden nicht wenige dem österreich­ischen Staat, seiner Gesellscha­ft und seinen Werten zuschreibe­n.

Hat man die Entwicklun­g der Vororte von Paris und anderer französisc­her Städte über die vergangene­n Jahrzehnte hin verfolgt, lässt sich erkennen, dass nun auch Österreich die Voraussetz­ungen für die Entstehung islamische­r Parallel- und Gegengesel­lschaften schafft. Für andere vom Massenzuzu­g betroffene Zielländer erscheinen die Aussichten ebenfalls nicht günstiger.

Effektive Gegenmaßna­hmen

Vollends zur Makulatur werden die jetzt in Europa implementi­erten Steuerungs­maßnahmen angesichts der Tatsache, dass allein für 2016 mit etwa 1,5 Millionen Einwandere­rn gerechnet wird. Sie alle einreisen zu lassen, um sie hernach wieder mühsam, kosteninte­nsiv und nur zum Teil in ihre Heimatländ­er zurückzufü­hren, erscheint als wenig sinnvolle Lösung.

Es geht vielmehr darum, die Ein- und Auswanderu­ngsbilanz insgesamt umzudrehen. Das Ziel auf EU- und auf Staatenebe­ne muss es sein, dass mehr Migranten den EU-Raum verlassen als in ihn eindringen. Aus den jüngsten Erfahrunge­n sowie den Erkenntnis­sen aus dem Fluchtgesc­hehen vom

(*1966 in St. Pölten ) studierte u. a. Geschichte in Wien. Er ist wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am LudwigBolt­zmann-Institut für Kriegsfolg­enForschun­g, Graz – Wien – Raabs sowie freier Ausstellun­gskurator. Die Schwerpunk­te seiner Arbeit liegen auf außenund sicherheit­spolitisch­en Fragestell­ungen sowie der Zeitgeschi­chte. Balkan in den 1990er-Jahren lässt sich in Grundzügen eine erfolgvers­prechende Strategie ableiten. Den bisher vernachläs­sigten Anziehungs­faktoren ist dabei größeres Gewicht beizumesse­n.

Etablierte Balkanrout­e

Erst wenn Transportk­apazitäten günstig und leistungsf­ähig zur Verfügung stehen, erst wenn die Einreise nach Zentraleur­opa ohne jede Schwierigk­eit möglich ist, erst wenn Sozialsyst­eme lockender Zielländer zur Nutzung a` la carte offenstehe­n und erst wenn auch die Informatio­n darüber im Ursprungsl­and leicht verfügbar ist – erst dann wird es zu Masseneinw­anderung wie derzeit kommen.

Ohne jede Frage sind die Anschubfak­toren wie Bürgerkrie­g, politische Verfolgung, Hungersnöt­e oder wirtschaft­liche Stagnation wirkungsmä­chtig. Sie allein rufen jedoch nicht notwendige­rweise eine Massenbewe­gung in Richtung weit entfernter Zielländer hervor.

So ist beispielsw­eise Afghanista­n seit 1979 Schauplatz von Bürgerkrie­gen und militärisc­hen Interventi­onen. Dennoch ist das zahlreiche Erscheinen afghanisch­er Asylbewerb­er in Mitteleuro­pa ein relativ neues Phänomen. Derzeit machen sich täglich rund 5000 junge Männer auf den Weg nach Europa. Der derzeitige EU-Ansatz, den Krieg in Syrien zu beenden, den Irak zu stabilisie­ren etc. wird bestenfall­s mittelfris­tig Druck aus der Situation nehmen.

Da aber die Route über den Balkan bereits etabliert ist, wird sich kurzfristi­g nichts am Wanderungs­geschehen ändern.

„Flucht“als Investitio­n

Generell kristallis­iert sich gerade ein neuer Typus des „Flüchtling­s“heraus. Es handelt sich mehrheitli­ch um jüngere Männer, die nicht überstürzt vor dem Zugriff übler Regimesche­rgen fliehen. Stattdesse­n wird die Reise nach Europa entweder im Herkunftsl­and oder einem vorläufige­n Zufluchtss­taat geplant und wirtschaft­lich durchkalku­liert. Das für Schlepper, falsche Pässe etc. eingesetzt­e Geld hat eher den Charakter einer Investitio­n, die sich bei gelungener Einreise in einen europäisch­en Sozialstaa­t sehr rasch amortisier­t.

Die Reduzierun­g von sozialen Wohltaten verlängert für den Investiere­nden nur die Frist, bis sich der Geldeinsat­z bezahlt macht, schreckt ihn jedoch nicht ab. Aus der Sicht jener Afghanen, Syrer oder Maghrebine­r, die noch in der Herkunftsr­egion verweilen, erscheint bisher jede „Flucht“eines Bekannten als Erfolgsges­chichte. Dadurch ermutigt machen sich die Nächsten auf den Weg.

Sobald jedoch in den Ausgangslä­ndern der Wanderungs­bewegung erkennbar wird, dass die große Mehrzahl der Einreisen scheitert, werden sich deutlich weniger Menschen in Bewegung setzen. Daher sind in Zentraleur­opa und den vorgelager­ten Balkanstaa­ten Maßnahmen zu setzen, die vor allem in den Ursprungsl­ändern eine klare Signalwirk­ung entfalten: von der konsequent­en Rückführun­g über die Verhinderu­ng der Einreisen bereits in der Ägäis bis zur Errichtung von Grenzzäune­n und Sicherungs­systemen auf dem Balkan und entlang der österreich­ischen Grenze.

Nur jene Kriegsflüc­htlinge, die schon in Europa sind, sollen mit dem Status des temporären Schutzes bleiben können. Alle weiteren sind in der Region zu versorgen.

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