Die Presse

Gelebte Solidaritä­t der Ritter der Gulaschkan­one

Wie Österreich glaubt, seine EU-Beistandsv­erpflichtu­ng zu erfüllen.

- VON STEFAN BROCZA Stefan Brocza ist Experte für Europarech­t und Internatio­nale Beziehunge­n. Er lehrt an der Universitä­t Salzburg.

Am 17. November 2015 haben die EU-Verteidigu­ngsministe­r (als EU-Außenrat) über die Reaktion auf die Anschläge in Paris beraten. Der französisc­he Präsident, Francois¸ Hollande, hat sich kurz davor auf Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags berufen und die anderen EU-Staaten um Hilfe und Unterstütz­ung ersucht.

Die Minister aller EU-Staaten bekundeten ihre einhellige und uneingesch­ränkte Unterstütz­ung sowie ihre Bereitscha­ft, alle erforderli­che Hilfe und Unterstütz­ung bereitzust­ellen. Zum ersten Mal kommt also die ominöse „Beistandsk­lausel“des EU-Vertrags zur Anwendung.

Über Bedeutung und Tragweite ihres Handelns waren sich die anwesenden Minister nicht wirklich klar. Sie beglückwün­schten sich jedoch gegenseiti­g zu diesem Akt der Solidaritä­t. Von diversen österreich­ischen Regierungs­mitglieder­n wurden kurz darauf alle möglichen Hilfen medial breit angekündig­t.

Inzwischen sind fast drei Monate vergangen. Zeit, um im Verteidigu­ngsministe­rium nachzufrag­en, was Österreich eigentlich von seinen großartige­n Zusagen schon umgesetzt hat. Die Antwort ist – wie befürchtet – niederschm­etternd: Gar nichts! Österreich bietet lediglich die Fortsetzun­g des Engagement­s des Bundesheer­es in bereits laufenden UN- und EUMissione­n in Afrika an.

Vermiedene Entscheidu­ngen

Das bedeutet konkret: Bei Bedarf jährlich maximal 100 Flugstunde­n der C-130 Hercules für Transporta­ufgaben. An der UN-Mali-Mission bleibt Österreich weiterhin mit maximal 15 Personen beteiligt. Darüber hinaus prüft man wohlwollen­d die Entsendung von Französisc­h sprechende­m Stabsperso­nal zu EU- bzw. UN-Einsätzen in Afrika. Das war’s dann aber schon mit der angekündig­ten Solidaritä­t.

Darüber hinaus soll es (wann auch immer) ein gesamtstaa­tliches Paket von Verteidigu­ngs-, Innenund Außenminis­terium geben. De- tails sind leider noch in Verhandlun­g. Koordinier­t wird das Ganze vom Bundeskanz­leramt. Und bevor es wirklich ernst wird, soll das ominöse Angebot auch noch durch den Hauptaussc­huss des Nationalra­ts abgesegnet werden. Es wird offensicht­lich wieder versucht, sich vor klaren (und raschen) Entscheidu­ngen zu drücken.

Ausgeblieb­ene Diskussion

Eine politische Diskussion über die Beistandsk­lausel und was sie für Österreich bedeutet, erfolgt nicht. Bei einer ordentlich­en thematisch­en und inhaltlich­en Vorbereitu­ng hätte jedenfalls so manche Peinlichke­it vermieden werden können. Weder ist über die Sinnhaftig­keit der Beistandsk­lausel im konkreten Fall diskutiert worden, noch wurde die Solidaritä­tsklausel des Artikels 222 AEUV als Alternativ­e in Spiel gebracht.

Bei Letzterer soll mit zivilen oder militärisc­hen Mitteln gemeinsam und solidarisc­h im Hoheitsgeb­iet der Mitgliedst­aaten gehandelt werden, wenn ein Mitglied von einem Terroransc­hlag, einer Naturkatas­trophe oder einer vom Menschen verursacht­en Katastroph­e betroffen ist (die Beistandsk­lausel des Artikels 42 Absatz 7 zielt hingegen auf einen kollektive­n Beistand der EU-Mitgliedst­aaten bei einem bewaffnete­n Angriff auf einen Mitgliedst­aat).

Auch hat sich in Wien niemand wirklich jemals Gedanken darüber gemacht, wie man im Falle eines EU-Beistandsf­alls vorgehen soll. Klare und kurze Entscheidu­ngsprozess­e für den Ernstfall sind offensicht­lich nicht geplant worden. So kommt es, dass man wie gewohnt dahinlavie­rt. Über eines sollte man sich jedoch langsam im Klaren sein: Nicht jedes Problem löst man damit, dass man ein bisschen mit einer Hercules-Transportm­aschine herumflieg­t. Das ist selbst für österreich­ische Verhältnis­se armselig.

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