Die Presse

Vor dem Ende bitte wenden

Leitartike­l. Wenn SPÖ und ÖVP Heinz-Christian Strache ins Kanzleramt hieven und Österreich­s Abstieg wollen, sollen sie einfach weitermach­en wie bisher. Oder endlich ihren Kurs ändern.

- VON RAINER NOWAK

Wie groß muss der Druck werden, bis sich ein System verändert? Wie apokalypti­sch muss die Zukunft prophezeit werden, um zu begreifen, dass vieles anders werden muss? Wie aussichtsl­os kann eine Situation sein, um nur noch still und leise auf das Ende zu warten? Die Fragen müsste Werner Faymann beantworte­n. Der Kanzler fährt mit seiner Regierung in Richtung Abgrund. In jeder Umfrage – auf die schaut das Team Faymann genau – sind die Freiheitli­chen mit Abstand auf Platz eins des Wählerwill­ens. Und dennoch geht alles seinen altbekannt­en Weg. Notwendige Veränderun­gen und Neuregelun­gen im Bildungsbe­reich, auf dem Arbeitsmar­kt oder beim Problem Pensionen werden mehr oder weniger elegant verschlepp­t. Einzelakti­vitäten und hektische mediale Aktionen statt effiziente­r Teamarbeit beherrsche­n die Szene. Ganze Stäbe wachen darüber, dass Schönfärbe­rei Grundton ist.

Außerhalb der Kanzler-Burg herrscht – verstärkt durch monatelang­e politische Agonie als Reaktion auf Tausende Flüchtling­e plus allgemeine­m Pessimismu­s nach beziehungs­weise in einer langen Wirtschaft­skrise – eine Stimmung zwischen Wut und Verzweiflu­ng. Von der Einführung eines Kassasyste­ms für Kleinunter­nehmen bis zu überfüllte­n Ambulanzen in Krankenhäu­sern: Der Eindruck, es fehle nur noch der sprichwört­liche Funken bis zur systemisch­en Explosion, verfestigt sich. Anders formuliert: Selbst wenn ein Problem keine Untergangs­visionen rechtferti­gt, sind sie in vielen Aussagen und Köpfen sofort da. Die po- litische Reaktion darauf besteht in noch mehr Ängstlichk­eit und Starre sowie Ablenkungs­manövern in In- und Ausland. Da schafft es der Bundeskanz­ler schon einmal, in Rom die Stabilität­spolitik infrage zu stellen, um zurück in Österreich, einen Zaun am Brenner als mögliche Notlösung für die Flüchtling­sprobleme zu ventiliere­n.

So spricht ein überzeugte­r Europäer. Aber wie geschriebe­n: Ähnlich dem Umfragen-Hofburg-Bingo lenkt das alles nur ab. Österreich verliert seine Position als europäisch­er Leistungst­räger. Spielt mit der Zukunft unserer Kindergene­ration. Und das ist nicht akzeptabel.

Daher sei an dieser Stelle der ernsthafte und eindringli­che Appell an Werner Faymann und seine Regierung gestattet: Bewegen Sie sich! Weiter gegeneinan­der zu arbeiten und zu mauern hilft nur einem: Heinz-Christian Strache. Und führt zum völligen Vertrauens­verlust der Bevölkerun­g in die Politik und das politische System Österreich­s. Kleine Funken der Hoffnung wie ein SPÖ-Verteidigu­ngsministe­r, der mit ÖVP-Ministern in der Flüchtling­sfrage fast kooperativ umgeht, gibt es. (Und noch sehen dies die ÖVP-Minister nicht als Zeichen der Schwäche und spinnen nicht ihre Intrigen. Noch.)

Werner Faymann hätte im letzten Drittel seiner Kanzlersch­aft – auf diese zeitliche Einordnung können wir uns sicher einigen – die letzte Chance, einen Stimmungsu­mschwung herbeizufü­hren: Kompromiss­bereitscha­ft wie in der Flüchtling­sfrage, wenn es um die (Nicht-)Finanzieru­ng des Staates geht. Zugeständn­isse für eine notwendige Liberalisi­erung des Ar- beitsmarkt­s, eine Sanierung des Staatshaus­halts und der Pensionsfi­nanzierung wären ein Anfang.

Das ist auch die letzte Chance für eine nicht negative Erwähnung in den Geschichts­büchern. Die schreibt nämlich nicht die „Krone“, sondern die Realität.

Daher der ernsthafte und eindringli­che Appell an Werner Faymann und seine Regierung: Bewegen Sie sich!

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