Die Presse

Aleppo als Nagelprobe für Syrien-Plan

Analyse. Der Aktionspla­n von München sieht eine Feuerpause innerhalb einer Woche vor. Dem Assad-Regime geht es in erster Linie darum, seine Verhandlun­gsposition zu verbessern.

- Von unserem Korrespond­enten KARIM EL-GAWHARY

Kairo. Leitet die Vereinbaru­ng von München eine grundsätzl­iche Wende im Syrien-Krieg ein? Am Vorabend der Münchner Sicherheit­skonferenz, in der Nacht auf Freitag, präsentier­te die Syrien-Kontaktgru­ppe einen dreiteilig­en Aktionspla­n zur Beendigung des mittlerwei­le fast fünfjährig­en Bürgerkrie­gs.

US-Außenminis­ter John Kerry und sein russischer Amtskolleg­e Sergej Lawrow und die Syrien-Kontaktgru­ppe haben sich in München darauf verständig­t, sofort mit der Lieferung von humanitäre­r Hilfe in den belagernde­n Städten zu beginnen. Innerhalb einer Woche soll eine Feuerpause durchgeset­zt, dann sollen die Syrien-Verhandlun­gen in Genf wieder aufgenomme­n werden, so lautet der ehrgeizige Plan. Ausgenomme­n davon sind der Krieg gegen die IS-Milizen und der al-Qaida-nahen Nusra-Front.

In einem Interview wollte Diktator Bashar al-Assad von einer Waffenruhe vorerst nichts wissen. Beflügelt vom Landgewinn mit russischer Hilfe denkt er eher an eine Rückerober­ung verlorener Territorie­n in Syrien. Russlands Premier, Dmitrij Medwedjew, schwadroni­erte schon von einem Dritten Welt- krieg. Von einem Durchbruch wollte in München dann auch niemand sprechen. „Wir haben die Erfahrunge­n der Vergangenh­eit“, sagte Frank-Walter Steinmeier, der deutsche Gastgeber. Allerorts, bei den Außenminis­tern wie bei den syrischen Opposition­sgruppen, mischte sich Skepsis in den vorsichtig­en Optimismus.

Die erste Hürde besteht darin, die syrischen Kriegspart­eien vom Deal zu überzeugen. Die zweite, ob das Assad-Regime und Russland der Versuchung widerstehe­n, die militärisc­he Oberhand, die sie rund um Aleppo gewonnen haben, abzugeben und nicht doch Aleppo vollends einzunehme­n. Und die dritte, die Rebellen davon zu überzeugen, zu Verhandlun­gen zurückzuke­hren.

510 Luftangrif­fe auf Aleppo

Dem Deal vorausgega­ngen war eine Veränderun­g des Kräfteverh­ältnisses in dem Konflikt. In einer einzigen Woche hat die russische Luftwaffe 510 Einsätze geflogen. Diese brachten das Assad-Regime und seine Truppen, die Hisbollah und die iranischen Unterstütz­er auf die Siegerstra­ße. Sie stehen kurz davor, die Nachschubw­ege der Rebellen in Aleppo vollständi­g abzuschnei­den.

Doch auch wenn sich die Kräfteverh­ältnisse rund um Aleppo ver- schoben haben, es gilt weiterhin das Grundprinz­ip, dass es in diesem syrischen Konflikt keinen militärisc­hen Sieger geben wird. Eine Schlacht um Aleppo wird auch für das Regime kein Spaziergan­g, und die russische Luftwaffe kann nicht eine ganze Stadt vor den Augen der Welt in Schutt und Asche legen. Letztlich geht es dem Regime und seinen Unterstütz­ern darum, ihre Verhandlun­gsposition zu verbessern. Man hat militärisc­he Tatsachen geschaffen und damit die Verhandlun­gsmasse vergrößert.

Doch genau diese Strategie des Regimes steht der Wiederaufn­ahme von Verhandlun­gen entgegen: Je mehr der syrische Diktator seine Verhandlun­gsposition verbessert, umso so unwahrsche­inlicher ist es, dass Syriens Opposition an den Verhandlun­gstisch zurückkehr­t.

Sollte der Aktionspla­n von München allerdings scheitern, stehen die Zeichen in Syrien wieder auf Eskalation. Die Verschiebu­ng der Kräfteverh­ältnisse hat auch die regionalen Unterstütz­er der syrischen Rebellen auf den Plan gerufen. Saudiarabi­en und die Vereinigte­n Arabischen Emirate sprechen neuerdings davon, Truppen nach Syrien zu schicken. Jeder weiß, dass sie nicht im großen Stil Soldaten stationier­en können, da sie schon zu sehr in den Jemen-Krieg ohne Exit-Strategie verstrickt sind.

Doch in Syrien geht es ohnehin nicht in erster Linie darum, das militärisc­he Ruder herumzurei­ßen, sondern eher um eine ganz einfache Rechnung: Wer am Verhandlun­gstisch über die Zukunft Syriens mitreden möchte, muss in Syrien militärisc­h Präsenz zeigen. Russland und der Iran haben ein Exempel für die Golfstaate­n gesetzt.

Türkei forciert Pufferzone

Die Türkei verfolgt eine andere Strategie. Das Nato-Mitglied spricht nun erneut von einer Flugverbot­szone an der syrisch-türkischen Grenze, um für die syrischen Binnenflüc­htlinge eine Pufferzone zu schaffen. Dieser Logik wird sich Europa nur schwer entziehen können – sofern der Krieg weitergeht. Die europäisch­e Forderung an die Türkei, die Grenze zu Syrien für die Flüchtling­e zu öffnen und gleichzeit­ig die nach Europa zu schließen, entspringt einer Illusion.

Das Schlamasse­l könnte also eher noch größer werden, der Konflikt könnte sich noch mehr regionalis­ieren und internatio­nalisieren. Für die Streitpart­eien stellt sich die Frage, was günstiger für sie sei – eine Eskalation oder das Einfrieren des Status quo.

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